Das goldene Meer
die Florida Sun und den auf ihrem Deck sterbenden Bradcock, bis sie voll Wasser gelaufen war, sich über das Heck neigte und langsam hinab ins Meer glitt. Ein kleiner Strudel blieb zurück, ein häßlicher Ölfleck … und die amerikanische Flagge. Wie ausgebreitet schwamm sie auf den Wellen und über die Stelle, wo das Schiff versunken war, als wolle sie ein Leichentuch sein.
»Nach Con Son, Vu!« sagte Truc heiser. »Sieh dir mein Schiff an, mein schönes Schiff.«
»Wir nehmen Wasser, Truc. Die Pumpen schaffen es nicht mehr.« Vu zeigte nach hinten auf das Achterdeck. »Granatsplitter haben Löcher in die Bordwand geschlagen. Wir sind zu schwer, wir liegen zu tief. Wir müssen Ballast abwerfen.«
»Genügen zwanzig?«
Vu sah Truc von der Seite an. »Das wären ja alle …«
»Mein Schiff ist mir wichtiger, mein schönes Schiff!«
Truc verließ den Steuerraum und ging unter Deck.
Seine Leute trieben nacheinander zwanzig junge, hübsche Frauen an Deck, stellten sie an die Reling, schossen sie ins Genick und warfen sie über Bord.
Truc warf Ballast ab. Von der Liberty aus mußten sie mit ansehen, was Grauenhaftes vor ihren Augen geschah.
»Rammen!« schrie Dr. Starke und riß Büchler am Hemd zu sich herum. »Hugo! Rammen! Warum tun Sie nichts?! Werfen Sie die Maschinen an und weg mit ihm.«
»Es hat keinen Sinn, Wilhelm.«
»Wollen Sie so sein wie Larsson?«
»Truc ist schneller als wir, begreifen Sie das doch. Man kann mit einer Schildkröte keinen Hasen jagen. Wir sind machtlos.«
Dr. Starke wandte sich ab. Bei jedem Schuß, der trocken zu ihnen hinüberwehte, zuckte er wie selbst getroffen zusammen.
»Vergessen wir das nie!« sagte hinter ihm Dr. Herbergh mit leiser Stimme. »Und vergessen wir auch nie den Satz, den das Bundeskanzleramt an Hörlein geschrieben hat: ›Unter den gegebenen Umständen ist es dem Bundesminister des Inneren nicht möglich, das in den Verfahrensgrundsätzen vorgesehene Verfahren zur Aufnahme von Flüchtlingen aus humanitären Gründen einzuleiten … Mit freundlichen Grüßen … ‹.«
Noch eine Woche lang suchten sie das Meer ab, kreuzten vor dem Mekong-Delta und warteten auf neue Flüchtlingsboote. Vergebens. Nicht eines kam mehr durch.
Wie Perlen, aufgereiht auf einer Schnur, lagen die Piratenschiffe vor der Küste und fingen jedes der seeuntüchtigen Boote ab. Die Marine von Vietnam und die von Thailand sah einfach weg, es gehörte nicht zu ihren Aufgaben, Flüchtlinge zu schützen.
Am neunten Tag ihrer erfolglosen Suche nahm Funker Buchs ein langes Schreiben auf, das über Radio Singapur die Liberty erreichte. Buchs las es zweimal, stieg dann hinunter ins Hospital zu Dr. Herbergh und legte es ihm auf den Tisch. Wortlos, mit einem traurigen Gesicht.
»Was ist denn los, Lothar?« fragte Herbergh. »Schlechte Nachricht aus Deutschland?«
»Ja, Herr Doktor.«
»Sind wir pleite?« Es sollte witzig klingen, aber Buchs nickte.
»Su jet Ähnliches. Mir sin im Eimer.«
Dr. Herbergh zog das dicht beschriebene Papier zu sich heran und las. Dann legte er das Blatt zurück auf den Tisch und lehnte sich zurück.
»Wer weiß schon davon, Lothar?«
»Keiner, Herr Doktor. Dat is jerade durchjekomme.«
»Ach, bitten Sie doch alle, in den Speiseraum zu kommen.« Dr. Herbergh erhob sich, nahm eine dünne Mappe und legte das lange Funkschreiben hinein. »Und kein Wort darüber. Zu keinem!«
Buchs nickte, sein trauriges Gesicht wurde noch trauriger, und ging aus dem Arztzimmer.
Zwanzig Minuten später betrat Dr. Herbergh den Speiseraum. Alle Besatzungsmitglieder der Liberty of Sea standen erwartungsvoll herum, ihre Köpfe zuckten zur Tür, als Herbergh sie öffnete. Auch Kapitän Larsson hatte man gerufen, er saß als einziger an einem der viereckigen Tische und rauchte seine Pfeife.
Dr. Herbergh blieb an der Tür stehen und schlug die Mappe auf. Keiner wußte, was diese Zusammenkunft bedeutete, aber jeder ahnte, daß es etwas von großer Wichtigkeit sein mußte. Es war das erstemal, daß Herbergh eine solch offizielle Versammlung einberief.
»Ich habe Sie alle hierher bitten lassen«, sagte Dr. Herbergh mit sehr ernster Stimme, »um Ihnen Kenntnis zu geben von einem Telex, das uns von Radio Singapur übermittelt wurde. Das ›Komitee Rettet die Verfolgten‹ in Köln, vertreten durch Herrn Albert Hörlein, teilt mit: ›Nach Ablauf der Charterzeit und bedingt durch zur Zeit nicht überwindbare Schwierigkeiten mit der Bundesregierung und den Regierungen anderer Staaten,
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