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Das goldene Meer

Das goldene Meer

Titel: Das goldene Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Verzweiflung.
    Ich bin nie der Sohn gewesen, den Du Dir gewünscht hast, das weiß ich. Ich bin Dein einziges Kind, und nachdem Vater bei diesem gräßlichen Unfall auf der Autobahn Würzburg – Nürnberg gestorben war , auch Dein einziger Lebensinhalt. Wie du es für mich bist, kleine Mutter. Der Name v. Starkenburg sollte durch mich weiterleben, so wie in den Generationen vor uns, auf unserer Ahnentafel bis 1107. Aber bei mei nem Wachsen in Deinem Leib muß etwas schiefgegangen sein, du kannst nichts dafür, o Gott, nein, so etwas zu denken, ist Frevel. – Aber schon nach meiner Geburt rief jeder aus, der sich über das Körbchen beug te: »Ist das ein hübsches Mädchen!« Und jedesmal hast Du gesagt: »Es ist ein Junge. Herbert heißt er.«
    Weißt Du noch, wie ich – ich war damals fünf Jahre, stimmt das? – weinend zu Dir kam und verlangte, ich wolle keine Hosen mehr tragen, sondern ein Kleidchen wie Elena, die Tochter von unserem Nachbarn? Und als ich zwölf war, habe ich mir die Kleider von Mädchen ge liehen, sie heimlich angezogen und mich vor dem Spiegel gedreht. Wie glücklich war ich da.
    Du weißt, wie es weiterging, Muttchen. Du hast oft geweint. Du hast mit starren Augen zugesehen, wie ich Büstenhalter, Hüfthalter, Seidenstrümpfe und Stöckelschuhe anzog und als ›junge Dame‹ abgeholt und in unser Transvestitenlokal gefahren wurde. Dort war ich eine Glanz nummer der Gesellschaft. Aber mein Abitur habe ich gemacht, das war ich Dir schuldig … doch geworden ist aus mir nichts.
    Du weißt es ja: Tänzer im ›Eden-Salon‹, Geliebter des Generaldirektors Korbmacher, nach dessen Herztod plötzlicher Sturz ins Milieu von München, Strichjunge auf Bahnhofstoiletten und Pissoirs, zwischendurch ein paarmal Wohngemeinschaften mit Hasch und LSD, aber an der Spritze habe ich nie gehangen und auch nie gekokst, drei Monate Knast wegen Ladendiebstahls – ich brauchte eine neue Hose und eine warme Jacke, es kam ja der Winter. Nach dem Knast bekam ich meine erste richtige Stelle: Ich wurde Marktschreier auf der Kaufingerstraße in München. Ich bot neuartige Nußknacker an, Spezialseife für Metallputz, verkaufte Glühwein und Zuckerwatte. Ich habe alles angenommen, was mir, dem Ungelernten, ein bißchen Geld brachte.
    Aber das weißt Du ja alles, gutes Muttchen. In München traf ich René. Von ihm habe ich Dir wenig erzählt, kaum erzählt. Warum? Er war ein Mann zum Träumen. Das klingt komisch, wenn ein Mann das sagt, aber bin ich denn ein Mann? Anatomisch ohne Zweifel, aber sonst empfinde ich wie eine Frau. Und ich bin glücklich darüber. Ich kann wirklich lieben. Wer kann das noch von sich sagen?
    René ist Architekt. Ein sehr bekannter Architekt in München. Oft brachte er seine wunderbaren Entwürfe mit, wir besprachen sie, ich konn te ihm sogar Anregungen geben. Wir harmonierten fabelhaft miteinander. Vier Jahre waren wir zusammen, stell Dir das vor, Muttchen. Vier ganze Jahre. Jahre ohne Sorgen, Jahre der Liebe, Jahre der Schwerelosigkeit. Und plötzlich, über Nacht, ist René weg. Ich erfahre, daß er heim lich unsere Villa verkauft hat, daß er weggeflogen ist nach Südamerika, in Paraguay soll er sein, daß er mir nichts hinterlassen hat, nur diesen elenden Zettel auf dem Eßtisch, daß ich innerhalb acht Tagen ausziehen muß, weil der neue Besitzer sich einrichten will … Muttchen, ich war soweit, mich von dieser Misterde zu verabschieden. Ich wollte nicht mehr . Ich habe mir 100 Schlaftabletten gekauft. Die werden reichen, habe ich gedacht. In die Isar zu springen, war sinnlos – ich kann zu gut schwim men. Mich vom Rathausturm zu stürzen, dazu war ich zu feig. Sich aufzuhängen – das ist ein ekelhafter Tod. Erschießen? Womit? Ich habe keine Waffe. Also blieb mir nur der typisch weibliche Tod – Schlaftabletten. Er paßt zu mir. Einschlafen und nie mehr aufwachen. Gibt es einen schöneren Abschied von dieser grausamen Welt?
    Ich habe es nicht getan, Muttchen. Nicht nur aus Feigheit, sondern weil ich eine Zeitung las. Das klingt verrückt, aber dieser Artikel berührte mich irgendwie. Ich las, daß man ein Schiff ausrüstet, um im Südchinesischen Meer Flüchtlinge aus Vietnam zu retten. Boatpeople. Vielleicht hast auch Du davon gelesen, Muttchen. Ich rief in Köln bei diesem ›Komitee Rettet die Verfolgten‹ an, erfuhr, daß man noch Matrosen für das Schiff suche, und meldete mich. Ich ein Matrose! Es darf gelacht werden!
    Aber mein Entschluß stand fest: Weg. Nach Vietnam. Nur

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