Das goldene Meer
Phong saß in einem kunstvoll geflochtenen, mit Kissen aus Thaiseide und Brokat gepolsterten Rattansessel und studierte die Seekarte. Sein Schiff, vierundzwanzig Meter lang, vier Meter breit und mit zwei Motoren von je 350 PS Leistung ausgestattet, dümpelte auf dem schwach bewegten Meer. Die Mannschaft, siebzehn thailändische ehemalige Fischer, dösten auf dem Deck. Drei Wachen suchten mit schweren Ferngläsern die See ab, aus der offenen Tür der Kombüse kam der Geruch von gebratenem Fisch. Die Langeweile war greifbar und lähmend.
»Was hörst du von Land?« fragte Truc den Steuermann, der hinter ihm stand. Er trug um seinen schwarzen Lockenkopf ein breites, weißes Stirnband.
Der Steuermann hob ein Papier an seine Augen und las vor. »Der letzte Funkspruch meldete, daß in der Nacht neun Boote abgelegt haben. Im ganzen 315 Personen. Darunter sollen 90 Frauen sein. Sie haben von sechs verschiedenen Stellen abgelegt. Das größte mit 67 Menschen vom Mekong.«
»Ausrüstung?«
»Ein gutes, starkes Boot mit einem fast neuen Dieselmotor.«
»Wer kann sich das leisten?« Truc lehnte sich zufrieden zurück. »Dann muß Geld an Bord sein. Bei so einem guten Boot kostet die Ausreise mindestens vierzig Tael. Das sind achttausend Dollar pro Person. Keine armen Leute, Tran. Wir sollten besonders wachsam sein. Ein schwimmender Geldsack, das ist selten.«
Truc vertiefte sich wieder in die Seekarte und zog mit dem Zeigefinger eine Linie vom Mekong-Delta bis zur Schiffahrtsstraße Singapur – Hongkong. Sie wurde gekreuzt von der Straße Bangkok – Manila.
»Sie werden nach Hongkong fahren, das ist sicher. Für den, der mit vollen Taschen kommt, ist Hongkong ein Paradies. Sie werden den kürzesten Weg nehmen … auf dieser Route. Wir werden sie hier, im Gebiet 7.03 Nord/108.18 Ost treffen, 210 Meilen vom Delta entfernt werden sie glauben, in Sicherheit zu sein.« Truc lachte meckernd, gab die Karte über seine Schulter an den Steuermann zurück und erhob sich aus seinem Sessel.
Truc Kim Phong war ein schöner Mann. In einem Smoking hätte er die Damen der Gesellschaft in Singapur oder Bangkok ohne Zweifel entzückt. Er war nicht groß, aber durchtrainiert wie ein Sportler, sein glattes schwarzes Haar war konservativ geschnitten, im Nacken frei, mit angedeuteten Koteletten. Von seinem Gesicht war man fasziniert. Es war von der glatten Schönheit des Asiaten, in dem ein paar Tropfen malaiischen Blutes das Ebenmaß erhöhte. Nur seine Augen paßten nicht dazu. Sie waren schwarz, kalt, mit jenem mitleidlosen Schimmer, der ein Frieren verursacht. Und jeder Angeschaute spürte, daß hinter der Fassade dieses ungewöhnlich schönen Menschen die Eiseskälte der Unmenschlichkeit wohnt.
Vor sieben Jahren war Truc noch einer der armen Fischer gewesen, die mit klapprigen Booten vor der Küste Vietnams auf die Fischschwärme lauerten, ihre Netze auswarfen und den Fang dann mit Muskelkraft und angespornt durch einen monotonen Singsang aus dem Meer zogen. Eine Knochenarbeit. Wie alle anderen Fischer wohnte er in einer schilfgedeckten Hütte am Strand, ernährte mit seinen Fängen, die er bei der Kooperative abliefern mußte, mühsam seine Frau und zwei Kinder. Aber immer träumte er davon, irgendwann einmal Glück zu haben, ein im Taifun zerschelltes Schiff zu finden, es auszuschlachten und dann aufzusteigen in eine Klasse, die nicht nur Fisch aß, sondern auch einen Braten.
Das ersehnte Glück suchte Truc auf eine andere Art heim: Ein Fährmann vom Mekong, mit dem er sich bei einer Fahrt nach Vinh-long unterhielt, erzählte ihm, daß fast jede Woche regimefeindliche Landsleute mit kleinen Flußbooten vom Delta aus hinaus aufs Meer fuhren, um mit viel Glück Thailand, Malaysia oder Indonesien zu erreichen. Die Insel Pulau Laut war die nächstliegende Station, aber auch Natuna Besar wurde angesteuert. Viele aber hofften auf die Hilfe der westlichen Menschen. Sie versuchten die große Wasserstraße nach Hongkong zu finden, um sich dort von den großen Schiffen aufnehmen zu lassen. Der Fährmann kannte sogar einen Fischer, der seine Netze vor der Hütte hängen ließ und statt Fische nun Menschen fing. Ein gutes Geschäft – man brauchte dem Staat davon nichts abzuliefern, denn der Staat wußte es nicht.
Truc hatte sehr aufmerksam zugehört. Auf dem Rückweg von Vinh-long kaufte er sich, nach langem Herumfragen, von einem Messingtreiber eine guterhaltene amerikanische Maschinenpistole und zwei kleine Kisten Munition. Beim Abzug der
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