Das goldene Meer
Bord?«
»Wir sollten den Kranken genau beobachten. Vor allem nach dem Essen.«
»Eine gute Idee. Wollen Sie das übernehmen, Anneliese?«
»Wenn Sie das wünschen, Fred.« Sie nickte. »Gern.«
»Das klingt nicht sehr begeistert.«
»Ich will offen mit Ihnen reden.« Sie legte die Hände gegeneinander und blickte über die Fingerspitzen hinweg Dr. Herbergh an. »Wilhelm gefällt mir nicht.«
»Hat der Kollege Starke Sie belästigt?«
»Nein. Dagegen könnte ich mich wehren. Seine eindeutigen Reden überhöre ich.«
»Er macht Ihnen Anträge?« Dr. Herberghs Stimme blieb ruhig, aber unter seiner Hirnschale begann es zu klopfen. Also doch, dachte er. Starke stellt ihr nach. Ich werde beim Komitee einen Antrag stellen, ihn abzulösen. Schnell einen neuen Arzt zu bekommen, wird für Hörlein schwierig sein, aber der Frieden an Bord ist die Basis unserer Arbeit. Starke wirkt mit seiner enthemmten Art zerstörerisch, er muß weg vom Schiff!
»Das allein ist es nicht …« Sie zögerte weiterzusprechen, aber dann schien ihr die Wahrheit wichtig zu sein. »Ich möchte nicht, daß man denkt, ich petze. Ich verhalte mich nicht unkollegial, wenn ich Beobachtungen wiedergebe.«
»Was haben Sie beobachtet, Anneliese?«
»Wilhelm unternimmt nächtliche Ausflüge. Ich bin ihm nachts zweimal begegnet. Er hatte seinen Bademantel an – und ich möchte behaupten, darunter hatte er nichts an. Er grüßte mich sogar unbefangen, sagte: ›Aha, meine schöne Kollegin! Auch noch unterwegs? Im weißen Kittel? Wer soll denn um diese Zeit verarztet werden?‹, und ich habe geantwortet: ›Sie wissen, daß wir einen schweren Malaria-Fall haben und daß ich heute den Nachtdienst mache!‹ Ich habe mich dann gefragt: Wohin geht Wilhelm zu dieser nächtlichen Zeit?«
»Das ist ungeheuerlich«, sagte Dr. Herbergh leise. »Das ist wirklich ungeheuerlich. Ich werde ihn fragen, und dieses Mal in aller Härte als Chef.« Er trommelte mit dem Bleistift auf einen kleinen Packen Karteikarten und wußte schon jetzt, daß Dr. Starke ihm antworten würde: »Was geht das Sie an, Fred? Spioniere ich Ihnen nach? Ich bin Ihnen jedenfalls noch nicht an die Hose gegangen – erst dann dürfen Sie protestieren.« Ein handfester Krach lag in der Luft. »Was meinen Sie, Anneliese? Schleicht er zu Kätzchen?«
»Ausgeschlossen.«
»Warum ausgeschlossen?«
»Bei Julia hat Hugo Schlafrechte.«
»Unser Erster?« Dr. Herbergh warf den Bleistift hin. »Und das erfahre ich so nebenbei?! Büchler und die Meerkatz – das kann doch nichts werden!«
»Für sechs Monate reicht's. Mehr soll es auch nicht sein.«
»Seit wann wissen Sie das, Anneliese? Warum haben Sie mir nichts gesagt, keine Andeutung gemacht?«
»Ich wollte nicht petzen. Jetzt habe ich es doch getan. Ich schäme mich, Fred. Aber ich dachte auch, Sie hätten das selbst bemerkt.«
»Das mit Büchler und Kätzchen nicht. Unangenehm berührt hat mich, wie Starke sich Ihnen gegenüber benimmt. Flegelhaft direkt. Neulich, als er seine Hände auf Ihre Schenkel legte …«
»Eine Hand auf einen Schenkel.«
»Das genügt!«
»Sie haben das gesehen, Fred? Und es hat Sie aufgeregt?«
»Und wie! Ich hätte Starke ohrfeigen können.« Dr. Herbergh brach abrupt ab. Er war sich bewußt, jetzt zuviel von dem verraten zu haben, was ihn im Inneren bewegte. Er hatte seine Gefühle gezeigt und erkannte in Annelieses Blick, daß sie ihn verstanden hatte. Das war ihm peinlich. Er hatte sich vorgenommen, erst bei der nächsten Landung in Manila mit ihr darüber zu sprechen, wenn er sich völlig darüber im klaren war, Anneliese zu bitten, seine Frau zu werden. Mit sich im klaren war er bereits, aber er wußte nicht, wie sie darauf reagieren würde. Das galt es zu erforschen. Eine Absage, vielleicht sogar ein schallendes Lachen hätte Narben auf seiner Seele hinterlassen. Jetzt hatte er sich hinreißen lassen und war ihrem forschenden Blick ausgesetzt.
»Das hätten Sie getan, Fred?« fragte sie mit einer geradezu provozierenden Kühle.
»Nur um der Disziplin an Bord willen.«
»Natürlich.« Sie lächelte nur andeutungsweise, aber Herbergh spürte dahinter ihr Lauern auf intimere Erklärungen. »Wie konnte es anders sein.« Sie wartete, ob Dr. Herbergh wenigstens jetzt die Brücke fand, die sie ihm baute, ob er die Gelegenheit ergriff, aus sich herauszugehen. Aber Herbergh blieb nach außen hin gelassen, igelte sich ein und pflegte weiter seine Angst vor einer Niederlage.
»Da Wilhelms nächtliche Besuche
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