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Das goldene Meer

Das goldene Meer

Titel: Das goldene Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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verrückt. Wenn man Fleisch oder Wurst oder Käse oder sonst was Eßbares klauen würde, na ja, das wäre verständlich. Aber so ein Messer? Und ein Wetzstein! Ich habe Johann schon gefragt, ob sie im OP kein scharfes Messer mehr haben. Jesses, hat der geschimpft! Boxen wollte er mit mir. Ich bin doch kein Selbstverstümmler! Aber das Messer ist weg!«
    »Haben Sie schon mal an die Vietnamesen gedacht?«
    »Aber sofort. Ich habe ihre Küche durchsucht, von hinten bis vorn. Mein Messer war nicht dabei. Ich erkenne es sofort wieder. In den Holzgriff habe ich ein W geschnitzt.«
    »Sie sollten das Stellinger melden.«
    »Dem? Wissen Sie, Frau Doktor, was der sagen wird: ›Endlich hat einer den Mut, deine Schnitzel zu zerschneiden und nicht gleich über Bord zu werfen.‹ Vielleicht hat er das Messer sogar selbst! Ich habe auch noch keinen Krach geschlagen, ich bleibe ganz still, aber wenn ich das Messer finde, gibt es Rabbatz.«
    Anneliese trank die Tasse aus, bezwang ihren Drang, doch noch eines der duftenden Brötchen mitzunehmen, und verließ die Küche. Im Treppenhaus hörte sie Pfeifen. Dr. Starke kam von der Nachtwache auf der Brücke zurück. Um ihm jetzt nicht zu begegnen, ging sie wieder hinaus aufs Deck. Dort sah sie Lam Van Xuong auf einer Taurolle sitzen und über das Meer blicken. Er sprang sofort auf, als er Anneliese auf sich zukommen hörte. Sein Gehör war wie das eines Tieres, geschult im Dschungel, wo gutes Hören oft das Überleben bedeutete.
    »Guten Morgen«, sagte er und machte eine tiefe Verbeugung. »Darf ich Ihnen sagen, daß wir alle sehr glücklich und fröhlich sind?«
    »Dann geht es euch besser als mir, Xuong.«
    »Sie haben Kummer, Frau Doktor?«
    »Man kann das nicht Kummer nennen. Eher Enttäuschung. Unser Koch ist bestohlen worden.«
    »Nicht von meinen Leuten.« Er sagte das fest und überzeugend. »Ihre Dankbarkeit ließe einen Diebstahl nicht zu. Wäre ein Dieb unter ihnen, wir würden ihn hart bestrafen. Er würde nicht mehr zu uns gehören.«
    Anneliese forschte nicht weiter, was das bedeutete. Sie ahnte es auch so und zog plötzlich schaudernd die Schultern zusammen. Wir sind aus zwei verschiedenen Welten, dachte sie. Es hat keinen Sinn, darüber zu diskutieren. Überhaupt keinen Sinn. Wir Menschen der westlichen Welt werden Asien nie ganz begreifen. Noch heute schlägt man auf öffentlichen Plätzen, vor einer jubelnden Menge, Köpfe ab. Aber tat man das bei uns nicht auch? Heinrich VIII. ließ seine Frauen enthaupten. Wir Deutschen ließen die Guillotine, dieses perfekte Köpfungsinstrument, sogar bis 1945 arbeiten. Das Richtschwert im Mittelalter, das Verbrennen der ›Hexen‹ während der Inquisition, – wir sollten nicht so selbstherrlich sein. Wir haben sogar das Kreuz den schreienden Gefolterten vor das Gesicht gehalten und Priester beteten dazu.
    »Was ist gestohlen worden?« fragte Xuong.
    »Ein großes, schweres Messer und ein Wetzstein.«
    »Ein Messer?« Xuong ließ sich nicht anmerken, daß nun doch große Sorge über ihn kam. »Das ist wirklich merkwürdig, Frau Doktor.«
    »In den Messergriff ist ein W geschnitzt.«
    »Ich werde die Augen offenhalten.« Xuong verbeugte sich wieder tief. »Gestatten Sie, daß ich Ihre Enttäuschung teile …« Er drehte sich um und stieg hinab ins Unterdeck. Herauf kamen dafür die Küchenfrauen und eilten zu dem hölzernen Aufbau, um den morgendlichen Tee zu kochen und Zwieback für das Frühstück auszupacken.
    Anneliese schaute auf ihre Armbanduhr. Sieben Uhr. Wie schnell eine Stunde vergeht, und wieviel in ihr geschehen kann. Um halb acht war die erste Besprechung bei Dr. Herbergh. Diskutieren der aktuellen Fälle, Therapiemaßnahmen,Röntgenbilder-Demonstration. Wie in einer großen Klinik, nicht anders, auch wenn man auf einem Schiff im Südchinesischen Meer schwamm. Sie ging in ihre Kabine, duschte, zog Jeans und eine Bluse und darüber den weißen Kittel an und betrat Punkt halb acht Dr. Herberghs Zimmer im Hospital. Dr. Starke war schon da, gleich hinter ihr kamen Johann Pitz und Kätzchen Julia.
    »Unsere Morgenrotanbeterin!« sagte Dr. Starke, als Anneliese ins Zimmer kam. »Wir haben Sie beim Frühstück vermißt. Wird man von der Sonne satt? Ich habe bisher nur gehört, daß man von ihr trunken werden kann.«
    »Oder man bekommt einen Sonnenstich und redet dann dummes Zeug.« Sie setzte sich an den viereckigen Tisch und bemerkte, daß Dr. Herbergh in sich hineinlachte. Dr. Starke hob schnuppernd die Nase.
    »Dieser

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