Das goldene Meer
Duft! Paradiesblüten! Benutzen Sie ein neues Parfüm, schöne Kollegin? Betäubend – wir werden Narkosemittel einsparen können. Da zeigt es sich, was eine fabelhafte Anästhesistin ist!«
»Zur Sache.« Dr. Herbergh klopfte mit dem Fingerknöchel auf den Tisch. »Julia, etwas Besonderes von Ihrer Station?«
»Nichts. Es läuft alles normal.«
»Bei Ihnen, Johann?«
»Normal.«
Dr. Herbergh blickte Anneliese an, etwas erstaunt, daß sie nichts von einer Beobachtung berichtete. Auch wenn sie nichts gesehen hatte, konnte man über den Fall sprechen. Er gab ihr ein Stichwort, so wie im Theater ein Dialog beginnt. »Was hört man von dem Magen-Ca?«
Dr. Starke war erstaunt. Für ihn war das kein Thema mehr. Der Mann würde die Ausschiffung in Manila nicht mehr erleben; was man für ihn noch tun konnte, war, sein Ende sanft zu machen. Aber er hatte ja ohnehin keine Schmerzen. Unverständlich, aber man mußte das hinnehmen.
»Nach jedem Essen bekommt er unerträgliche Schmerzen«, sagte Anneliese plötzlich. Es war, als schlüge sie mit der Faust auf den Tisch.
»Auf einmal?« Dr. Starke schüttelte den Kopf. »Noch gestern wurde gesagt – ich sehe ihn mir jeden Tag bei der Visite genau an – keine Anzeichen von Schmerz!«
»Er krümmt sich vor Schmerzen, schlägt mit dem Kopf auf den Boden, verkrampft sich völlig …«
»Gestern abend ist er an Deck spazieren gegangen. Zwei Freunde haben ihn gestützt, aber er ging!« rief Johann Pitz protestierend.
»Vor dem Essen, Johann.« Anneliese lehnte sich zurück. »Nach dem Essen ist er ein elendes Bündel Schmerzen.«
»Und das übersteht er ohne Injektionen?«
»Ja. Haben Sie ihm welche gegeben, Wilhelm?«
»Nein. Immer, wenn ich kam, war er völlig schmerzfrei. Niemand hat mir gesagt, daß …«
»Es wußte auch niemand. Ich habe es gestern abend gesehen. Ich habe in einer Ecke des Schlafraumes gesessen und ihn beobachtet. Als er vor Schmerzen hochschnellte, mußte ich mich bezwingen, ihm nicht zu helfen. Und dann ließen die Schmerzen nach.«
»Von allein?« fragte Dr. Herbergh. In seiner Stimme schwangen Ungeduld und Erwartung. »Das gibt es doch nicht! So stark kann keine Selbsthypnose sein, daß sie Tumorschmerzen wegscheucht. Was Sie da andeuten, Anneliese, hört sich ganz nach Selbsthypnose an.«
»Neben ihm auf der Matte saß eine Frau, eine Mutter von drei Kindern. Ut heißt sie. Eine noch junge Frau.«
»Sie war drei Tage auf Station.« Julia beugte sich vor. Pitz ärgerte sich, daß man dabei in ihren Ausschnitt und den Ansatz ihrer Brüste sehen konnte. Verdammt, warum trägt sie im Dienst keinen BH?! Für mich ist das nicht nötig, ich weiß, was sie hat. »Sie hat drei Infusionen bekommen und war eines Nachmittags verschwunden. Ich habe sie gesucht, sie war unten im Lager und hat zu mir gesagt: ›Ich bin gesund.‹ Sie wollte nicht zurück auf die Station.«
»Davon haben Sie mir nie etwas gesagt, Julia«, unterbrach Dr. Herbergh sie.
»Sie steht im Stationsjournal als entlassen, Chef.«
»Aber sie ist ausgerückt. Das steht nicht drin«, sagte Dr. Starke tadelnd.
Julia sah ihn an, zog einen Flunsch und bekam ein hartes Gesicht. »Wenn man alles aufschreiben wollte – was passiert nicht alles …«
Dr. Starke verstand den Wink. Er machte eine wegwischende Handbewegung. »Vergessen wir das. Was ist nun mit Ihrer Mutter und den drei Kindern, schöne Kollegin?«
»Sie hat mit ihren Händen die Schmerzen herausgenommen und in die Luft geworfen.«
Irritiert starrte Dr. Starke mit halboffenem Mund Anneliese Burgbach an. »Sie … Sie haben doch zu lange in der Sonne gestanden, Anneliese«, sagte er dann besorgt. »Spüren Sie einen Druck im Kopf? Ein Brennen? Ist Ihnen schwindelig? Haben Sie Sehstörungen?« Er sprang auf, auch Johann Pitz schnellte vom Stuhl hoch. »Legen Sie sich sofort hin, Kollegin … Johann, warum stehen Sie so blöd rum! Sofort kalte, feuchte Tücher. Anneliese, spüren Sie einen Brechreiz? Ohrensausen?« Er blickte hinüber zu Dr. Herbergh, der sitzengeblieben und ganz ruhig war. »Fred, Ihre Ruhe ist beleidigend. Sie sehen tatenlos zu, wie Anneliese …«
»Ich bewundere Ihre mitreißende Agilität, Wilhelm. So habe ich Sie noch nie gesehen.« Dr. Herbergh winkte ab. »Ihr Schnelleinsatz ist lobenswert, aber Anneliese hat keinen Sonnenstich. Blicken Sie doch nur in ihre Augen.« Er lächelte und warf Anneliese einen aufmunternden Blick zu. »Berichten Sie weiter, Frau Kollegin.«
»Ut massierte leicht Ober-
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