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Das goldene Meer

Das goldene Meer

Titel: Das goldene Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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hereinkam. »Die Kinder lassen sich nicht anfassen«, sagte sie. »Dabei müßten sie dringend gebadet werden. Aber wie soll ich das Ut klarmachen? Ich überlege schon die ganze Zeit, wie man Baden in Zeichensprache ausdrücken kann.«
    »Sie werden sich alle bei mir duschen. Xuong wird es ihnen übersetzen.« Sie wandte sich an den Lehrer, der höflich an der Tür stehengeblieben war und wartete, daß man ihn ansprach. »Xuong, sagen Sie Ut, daß sie und die Kinder bei mir wohnen werden. Wir gehen sofort in meine Kabine.«
    Xuong verneigte sich und übersetzte Annelieses Worte. Über Uts Gesicht zog ein glückliches Leuchten. Es veränderte sich völlig, plötzlich war es wieder jung und glatt, ohne Angst und voll Hoffnung. Sie sagte etwas mit ihrer hohen, kindlichen Stimme, und Xuong gab es weiter.
    »Ut weiß nicht, wie Sie Ihnen danken soll, Frau Doktor. Ihr Leben wird jetzt zum zweitenmal gerettet. Vielleicht kann Ngoc Ihnen einmal danken, wenn er groß und etwas geworden ist. Ut und die Kinder werden Sie nie vergessen, wohin sie auch kommen.«
    »Zuerst müssen sie baden. Gehen wir, Xuong.«
    In Annelieses Kabine war alles schon für den Einzug Uts vorbereitet. Auf dem Boden lagen zwei Matratzen für die Kinder, im Schrank hingen auf Bügeln zwei Kleider für Ut und eine Jeanshose mit Pulli, die Anneliese aus ihren Beständen ausgesucht hatte. In Manila wollte sie Ut und den Kindern dann neue Hosen, Hemden und Pullover kaufen, hier an Bord liefen sie meistens nur mit Hemd und weiter Baumwollhose herum. Xuong, der zum erstenmal die Kabine der Deutschen betrat, sah sich neugierig um.
    »Sieh es dir genau an, Ut«, sagte er bestimmt. »Wie sauber alles ist. Ich will, daß es so sauber bleibt. Ich werde jeden Tag danach schauen. Niemand soll sagen, der Dreck gehöre zu unserem Leben.«
    »Ich werde mir Mühe geben, Lehrer«, antwortete Ut. Sie stand mitten im Zimmer und wagte es nicht, sich in einen der Rattansessel zu setzen oder gar auf das glattgezogene Bett. Es war nicht in weiß, sondern mit einem hellrosa Stoff bezogen. Für Ut und die Kinder war es, als seien sie in das Zimmer eines Palastes gekommen. Ein Radio stand auf einer Kommode, Bilder in Silberrahmen. Das waren Annelieses Eltern, ihr Bruder und ein streng dreinblickender älterer Mann mit Schnurrbart, der ihr Doktorvater gewesen war. Professor Dr. Haubener. »Ihre Promotionsarbeit ist hervorragend –« hatte er damals gesagt –, »aber ob Sie eine gute Ärztin werden, bezweifle ich. Sie tragen zuviel Herz mit sich herum, sie könnten mit den Kranken weinen, und das bringt gar nichts, nur Mißtrauen in Ihr ärztliches Können. Ein Arzt muß immer über der Krankheit stehen, wenigstens nach außen hin.« Wenn Haubener sie jetzt sehen könnte, wie sie verzweifelte Menschen aus dem Meer fischte, ausgedörrten Kindern und Frauen wieder neuen Mut gab, unter einem Sonnensegel am Heck des Schiffes Deutschunterricht erteilte; Prof. Haubener würde sie umarmen.
    »Sagen Sie Ut, sie soll die Kinder ausziehen. Ich stelle die Dusche an.«
    Xuong übersetzte es. Anneliese mischte das kalte und warme Wasser, bis es die richtige Temperatur erreicht hatte und nickte dann den Kindern zu. Zögernd streifte Ngoc seine zerrissene Hose ab und zog das fleckige Hemd über den Kopf. Ut zog die Mädchen aus, und dann standen sie mit großen Augen vor der Dusche, kleine, ausgemergelte, vom Elend gezeichnete Körper, schmächtige Gerippe, überspannt mit einer fadgelblichen Haut, lehmig, sandig wie der Boden, auf dem sie geboren worden waren.
    Ut blickte hinüber zu Xuong an der Tür, aber sie wagte nicht, etwas zu sagen. Verschämt nestelte sie dann an ihrer Bluse und knöpfte die oberen drei Knöpfe auf. Xuong verstand jetzt ihr Zögern und wandte sich an Anneliese. »Brauchen Sie mich noch, Frau Doktor?«
    »Aber ja. Warten Sie solange vor der Tür, Xuong.«
    Der Lehrer ging hinaus, und kaum hatte er die Tür geschlossen, zog Ut die Bluse über ihren Kopf und streifte die Hose ab. Sie trug darunter ein löchriges Höschen aus hellblauer Baumwolle, nur das hatte sie mitnehmen können, alles andere war an Land geblieben, zwei große Kartons und zwei zusammengenähte Säcke mit Wäsche, Kleidung, Hausrat und Töpfen. »Viel zuviel!« hatte damals Xuong gesagt, als sie bei dem flachen Flußboot erschien. »Wenn alle soviel mitnehmen, gehen wir schon im Mekong unter. Nur mitnehmen, was unbedingt nötig ist. In ein paar Tagen sind wir in einer anderen Welt. Da können wir uns

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