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Das goldene Meer

Das goldene Meer

Titel: Das goldene Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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keinem öffnen, soviel auch geklopft wird. Erst, wenn sie meine oder Ihre Stimme hören, dürfen sie aufmachen.«
    »Und wenn einer der Herren Ärzte kommt?« fragte Xuong.
    »Ut wird sie fragen. Und wenn sie auf deutsch antworten, kann sie aufschließen. Aber sonst nie! Sagen Sie ihr das ganz eindringlich.«
    Xuong übersetzte es. Ut nickte mehrmals zu Anneliese hin und zeigte damit, daß sie alles verstanden hatte. Dann sprach auch sie ein paar Worte, und Xuong wandte sich zu Anneliese um.
    »Sie fragt, was mit den Sachen ist, die noch bei ihrem Schlaflager stehen. Etwas Wäsche, ein kleiner Kochtopf, zwei Eßschüsseln, ein Paar Sandalen.«
    »Ut wird von mir alles neu bekommen. Die alten Sachen werfen wir nachher über Bord. Oder ist irgend etwas Wertvolles dabei?«
    »Wie kann Ut Wertvolles haben?« Er hörte wieder zu, als Ut weitersprach und schüttelte den Kopf. Aber jetzt schien es eine Meinungsverschiedenheit zu geben, Uts Stimme hob sich und wurde erstaunlich hart.
    »Was sagt sie?« fragte Anneliese.
    »Ut sagt, sie könne nicht den ganzen Tag in der Kabine bleiben. Sie müsse sich um Thuy kümmern. Sie muß ihm nach jedem Essen seine Schmerzen wegnehmen. Er wird sterben, wenn sie ihm nicht hilft.«
    »Natürlich soll sie Thuy helfen. Wir werden ihn ins Hospital holen. Aber immer muß einer von uns bei ihr sein, auch wenn sie das ablehnt. Sagen Sie ihr das. Sie darf nicht allein sein.«
    Xuong übersetzte, aber Ut schüttelte den Kopf. Ihre Antwort war für Anneliese unverständlich.
    »Ut sagt, daß sie Thuy nicht helfen kann, wenn jemand zusieht. Sie kann überhaupt nicht mehr helfen, wenn sie nicht allein ist. Thuy muß also sterben. Niemand kann dabei sein, wenn sie betet. Alle Fremden verhindern, daß ihre Worte bis zu Gott kommen.«
    »Das ist doch Unsinn, Xuong!«
    »Wer weiß es, Frau Doktor? Ut hat die Wundergabe, Schmerzen wegzunehmen. Kann man Wunder erklären? Kann man Wundern befehlen? Ein Wunder ist immer außerhalb unseres Denkens und Verstehens, sonst wäre es ja kein Wunder.«
    »Sie sind ein kluger Mann, Xuong. Was wollen Sie einmal tun? Ein vietnamesischer Lehrer ist das letzte, was man in Deutschland gebrauchen kann.«
    »Ich kann arbeiten, Frau Doktor. Ich werde jede Arbeit annehmen. Nichts wird mir zu schwer und zu dreckig sein. Ich habe ja ein neues Leben bekommen. Schlimmer als in meiner Heimat kann es nie mehr werden. Wer leben will, kann leben, wer arbeiten will, kann arbeiten. Man muß nur wollen und jede Arbeit annehmen. Ich kann nicht sagen: Ich bin Lehrer, ich fasse keine Schaufel an. Ich würde die Böden schrubben, wenn ich davon leben kann. Ich würde die Fäkalienkanäle säubern, wenn es Geld bringt. Wir haben gelernt, daß jede Arbeit wertvoll ist, weil sie uns leben läßt.«
    »Das sollte man mal bei uns an die Wände hängen!«
    »Dann lade ich jeden ein, in mein Land zu kommen. Nicht für zwei Wochen als Tourist, sondern nur ein Jahr als Arbeiter unter Arbeitern. Auf den Knien würden sie zurückkommen in ihr Paradies.« Xuong nickte zu Ut und den Kindern hin. »Was sollen wir tun? Muß Thuy wirklich sterben!?«
    »Er wird es bestimmt, Xuong. In kurzer Zeit, noch hier auf dem Schiff. Sein Magenkrebs ist so weit fortgeschritten, daß es ein Wunder ist, daß er noch lebt.«
    »Uts Wunder.«
    »Nein. Der Krebs drückt Thuy das Leben ab, nur spürt er keine Schmerzen dabei wie andere Krebskranke. Das ist Uts rätselhafte Kraft, das gebe ich zu. Ich muß darüber mit Dr. Herbergh sprechen.«
    »Es eilt, sagt Ut. Nach dem Abendessen muß sie Thuy sehen. Kann sie ihn nicht allein in einem leeren Krankenzimmer behandeln? Vor der Tür kann eine Wache stehen.«
    »Zuerst werden wir Thuy ins Hospital holen, er hätte schon dableiben sollen, aber plötzlich war er aus seinem Bett weg. Wir haben ihn gesucht, aber nicht gefunden. Er versteckt sich irgendwo. Und wo wir auch fragen, überall Schweigen. Warum eigentlich, Xuong? Wir wollen doch nur helfen! Aber plötzlich stehen wir vor einer Mauer aus Menschen und können sie nicht durchbrechen. Auch nicht mit logischen Argumenten.«
    »Hat Hung immer übersetzt?« fragte Xuong.
    »Natürlich. Er ist doch der Dolmetscher.«
    »Sie haben nie kontrollieren können, was er wirklich gesagt hat. Aber jetzt wissen Sie ja, daß Hung einen Haß auf Ut hat.«
    »Das weiß ich nicht, Xuong!« Anneliese sah Xuong überrascht an. »Wir alle wissen nur, daß Ut Angst hat. Vor wem, das war mir bis zu dieser Minute unbekannt. Hung? – Warum

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