Das goldene Ufer
kümmern, der es immer schlechter ging.
»Wenn ich wenigstens erbrechen könnte«, stöhnte sie. Sie hatte es kaum gesagt, als ihr Magen sich förmlich nach außen stülpte. Walther konnte ihr gerade noch den Eimer reichen, den Bertrand ihnen in weiser Voraussicht hingestellt hatte, dann kämpfte auch er mit der Übelkeit und war schließlich froh, als Gisela ihm das Gefäß überließ.
Während sie in ihren Hängematten lagen, sah Walther, wie ein Passagier, der nicht seekrank geworden war, heimlich in den Geldbeutel eines anderen griff, den dieser bei einem Übelkeitsanfall unter die in seiner Hängematte liegende Decke gesteckt hatte. Der Dieb nahm rasch ein paar Münzen heraus, legte den Beutel wieder an seine alte Stelle und kehrte zufrieden zu seinem Platz zurück.
Walther war zu kraftlos, um eingreifen zu können. Eines aber begriff er mit erschreckender Klarheit: Er würde während der Überfahrt sehr genau auf sein Geld und seinen weiteren Besitz achtgeben müssen. Dies erklärte er auch Gisela, deren Hängematte so nahe an der seinen war, dass er sie mit ausgestrecktem Arm streicheln konnte.
»Wo viele Menschen sind, gibt es auch lange Finger«, antwortete sie leise.
»So ist es!« Walther überlegte, ob er den Platz, den Gisela und er einnahmen, nicht mit einer Decke gegen die anderen Passagiere abtrennen sollte. Doch sein Instinkt sagte ihm, dass es besser wäre, es nicht zu tun. Ein Sichtschutz wäre zwar angenehm, aber er würde einem Dieb die Möglichkeit bieten, sich in der Nacht ungesehen an sie heranzuschleichen und sie zu bestehlen.
Während die Loire in den Ärmelkanal hineinsteuerte, überstanden die meisten Passagiere ihre Seekrankheit, doch der Gestank nach Erbrochenem lag noch lange beißend in der Luft. Da Gisela und Walther sich in einen Eimer übergeben hatten, brauchte er das Gefäß, als die Matrosen ihn zu diesem Zweck an Deck ließen, nur in Windrichtung über die Bordwand zu entleeren und es anschließend an einer Leine ins Wasser zu werfen, um es zu reinigen.
Diejenigen Passagiere aber, die sich auf den Boden oder gar auf ihre Hängematten, Decken oder Kleidungsstücke erbrochen hatten, waren weitaus schlechter dran. Ihnen wurden Ledereimer mit Seewasser und stinkenden Lumpen hingestellt und barsch befohlen, alles sauber zu machen.
Daher war der erste Tag der Seefahrt und für die meisten Mitreisenden auch der zweite eine Qual. Walther erholte sich jedoch rasch, und auch Gisela überstand die Übelkeit besser, als sie beide erwartet hatten. So erwarteten sie am nächsten Morgen hungrig das erste Essen dieser Reise.
Es dauerte den halben Vormittag, bis Bertrand, dem offenbar die Sorge für die Passagiere anvertraut war, mit zwei weiteren Matrosen den Niedergang herabstieg. Während die anderen Männer einen großen Kessel schleppten, hielt Bertrand einen Schöpflöffel bei sich und kam als Erstes zu Walther und Gisela. Diese reichten ihm die Blechnäpfe, die sie zusammen mit ihren Vorräten erstanden hatten, und sahen zu, wie er sie füllte.
Trotz des spärlichen Lichts war zu erkennen, dass das Frühstück aus einem undefinierbaren grauen Brei bestand, den der Koch aus zerstoßenem Zwieback, Bohnen, ein wenig Salzfleisch und Wasser zubereitet hatte.
Verärgert blickte Walther auf. »Wieso wird für alle gleich gekocht? Wir haben bessere Sachen als das hier an Bord gebracht, Würste zum Beispiel und auch Butter.«
»Es ist zu mühsam, für jeden einzeln zu kochen. Daher wird für alle gekocht. Wurst und Butter sind für jene Tage bestimmt, an denen nicht gekocht werden kann, weil das Feuer in der Kombüse gelöscht werden muss«, erklärte Bertrand und ging zum nächsten Passagier weiter.
Walther aß den nach Kleister schmeckenden Brei und sagte sich, dass es doch ein großer Unterschied war, ob man nur von den Beschwernissen einer Seereise las oder diese am eigenen Leib erlebte. Zu seiner Erleichterung hielt Gisela sich besser als erwartet. Sie verspeiste ihre Portion mit Heißhunger und starrte anschließend so sehnsüchtig auf seine noch halbvolle Schüssel, dass er ihr diese reichte.
»Iss ruhig! Ich bin bereits satt.«
Nach einem kurzen Zögern griff Gisela zu und vertilgte auch den Rest. Danach sah sie mit einem bedauernden Blick zum Niedergang vor. »Glaubst du, ich könnte noch etwas bekommen?«
Ihr Appetit wunderte Walther, aber er stand auf und ging nach vorne. Leicht war es nicht, denn das Schiff schwankte wie ein betrunkener Husar. Daher klammerte er sich
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