Das goldene Ufer
festhalten, da das Schiff eben in ein Wellental stürzte und nur langsam wieder hochkam. Von oben drang Gischt durch ein paar Ritzen, und einige Passagiere schimpften lauthals.
Gisela und Gertrude mussten warten, bis der Lärm etwas verebbte, und konnten sich dann erst begrüßen.
»Es heißt, geteiltes Leid ist halbes Leid«, sagte Gisela lächelnd. »Ich bin jedenfalls froh, Sie an Bord zu wissen. Mein Mann ist mir zwar eine starke Stütze, doch gelegentlich braucht man den Rat einer Frau.«
»So sehe ich es auch«, antwortete Gertrude und setzte sich zu Gisela in die Hängematte wie auf eine Schaukel und ließ die Beine baumeln.
Zuerst hörte Walther den beiden noch zu, doch da es hauptsächlich um das Thema ging, wie Frauen sich hier an Bord sauber halten konnten, schweiften seine Gedanken ab, und er fragte sich, ob er nun klug oder dumm gehandelt hatte, die Passage auf der Loire zu buchen. Die Antwort darauf konnte ihm nur die Zeit geben. Aber im Stillen riet er Kapitän Buisson und dessen Matrosen jedoch, es nicht zu übertreiben.
4.
D ie Loire passierte das Cap de la Hague und fuhr in Sichtweite der britischen Insel Alderney nach Westen. Mittlerweile hatte sich das Leben im Zwischendeck ein wenig eingespielt. Die Passagiere durften nun einmal am Tag an Deck steigen, sofern das Wetter es zuließ, um frische Luft zu schnappen. Das aber nützte der Dieb aus, Geld oder andere wertvolle Dinge zu stehlen. Er ging dabei so geschickt vor, dass ihn niemand dabei beobachtete. Dann aber entwendete er ein goldenes Medaillon, das dem Oberhaupt einer Gruppe normannischer Auswanderer gehörte.
Als der Mann den Verlust bemerkte, durchsuchte er zunächst seine eigene Hängematte und stellte sich dann, als er das Medaillon nicht fand, breitbeinig hin, hielt sich mit einer Hand fest und begann mit lauter Stimme zu reden. Schon nach den ersten Worten eilte Gertrude Schüdle zu Walther und Gisela, um für die beiden zu dolmetschen.
»Der Mann will zusammen mit seinen Verwandten alle Reisenden und ihr Gepäck durchsuchen, wenn derjenige, der das Medaillon an sich genommen hat, dieses nicht sofort zurückgibt. Demjenigen, bei dem das Schmuckstück gefunden wird, droht er fürchterliche Schläge an.«
Kaum war der Normanne verstummt, sprangen einige Passagiere zornig auf und verwahrten sich dagegen, wie Diebe behandelt zu werden. Als Thierry, einer der Söhne des Alten, auf einen Mann zuging, um ihn zu durchsuchen, stieß dieser ihn zurück. Weitere Normannen kamen Thierry zu Hilfe, andere Passagiere dessen Gegner, und es begann eine wilde Prügelei. Die Männer nahmen kaum Rücksicht, und so wichen die meisten Frauen und Kinder schreiend in die Ecken zurück.
Angesichts dessen begriff Walther, weshalb Bertrand allen die Waffen abgefordert hatte. Andernfalls hätte es hier nun Mord und Totschlag gegeben. Es war auch so schlimm genug. Daher schob er Gisela und Gertrude hinter sich, um ihnen notfalls Schutz bieten können.
Da der Elsässerin und ihrem Nachbarn der Platz direkt neben dem Niedergang zugewiesen worden war, stieg Martin Jäger hoch und pochte gegen die Luke. Gleichzeitig rief er auf Französisch, dass es eine Schlägerei unter den Passagieren gäbe.
Nur wenige Sekunden später wurde die Luke aufgerissen, und ein gutes Dutzend Matrosen stürmte herab, jeder mit einem Belegnagel in der Hand, und hieben auf die Streitlustigen ein. Als die Passagiere sich zur Wehr setzten, knallte ein Schuss. Oben auf dem Niedergang waren der Kapitän und zwei seiner Maate aufgetaucht, die jeweils zwei Doppelpistolen in Händen trugen. Den Warnschuss hatte der Kapitän abgegeben, aus einem Lauf seiner Pistole stieg ein dünner Rauchfaden auf. Der andere Lauf war noch geladen und zeigte auf Thierry, der ihm am nächsten stand.
»Was ist hier los?«, fragte der Kapitän scharf.
Thierrys Vater ballte unwillig die Fäuste. »Wir sind bestohlen worden. Als wir unser Gut wieder zurückgefordert haben, haben diese verdammten Gascogner die Messer gezogen. Nun sind zwei von uns verletzt.«
»Hier wird also gestohlen!« Buisson zog die Oberlippe hoch wie ein flehmender Hengst. Dann gab er seinen Matrosen den Befehl, sich beim Niedergang zu sammeln.
Walther war es gelungen, sich und die beiden Frauen aus dem Tumult herauszuhalten, und wartete ruhig ab, was kommen würde. Nun sah er Kapitän Buisson den Niedergang hinabsteigen und sich vor dem Sippenoberhaupt der Normannen aufbauen.
»Du sagst, man habe dich bestohlen! Kannst du das
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