Das goldene Ufer
seine Stimme. »Sie machen jetzt alles seefest. Matrosen haben keine Zeit, Kindermädchen zu spielen.« Bertrand wiederholte das Ganze auf Französisch und trieb die anderen Auswanderer auf die Beine. Die meisten sahen ihn nur verwirrt an, doch ein paar begannen, ihre Bündel, Koffer und Taschen mit Stricken an der Wand zu befestigen.
Der Matrose verfolgte grinsend ihre Bemühungen und klatschte dann in die Hände, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Zuerst hielt er eine Ansprache auf Französisch und ging dann auf Englisch über, damit auch Walther verstehen konnte, was er sagte.
»Bevor Sie jetzt alles irgendwo festbinden, muss ich Ihnen ein paar Maßregeln erklären. Jeder Passagier darf nur ein Gepäckstück hier im Zwischendeck behalten. Alles andere kommt in den Laderaum und wird erst nach der Ankunft im Zielhafen herausgeholt. Sollten Sie Gewehre oder Pistolen bei sich haben, müssen diese ebenfalls mit dem übrigen Gepäck in den Laderaum. Haben Sie verstanden?«
Walther sah, wie die anderen Passagiere ihr Gepäck sortierten und einige auch Flinten und Pistolen zu dem Teil gaben, der nach unten geschafft werden sollte. Da Gisela und er außer den Einkäufen für die Fahrt nur ihren Koffer und die Stofftasche bei sich hatten, zögerte er, seine Büchse herauszuholen. Es war ihm nicht möglich, die Waffe vorher gut einzufetten, und so würde sie im Laderaum Rost ansetzen und möglicherweise unbrauchbar werden. Da er die Büchse an Bord mit Sicherheit nicht benützen würde, konnte es niemanden stören, wenn sie im Koffer blieb. Das galt auch für Diebolds Pistole.
Er nutzte die in seiner Ecke herrschende Dunkelheit, um einen Teil seiner Kleidung in Giselas Tasche zu packen, legte die Pistole zu der Büchse und verdeckte beide mit seinem guten Rock. Danach band er sowohl Tasche wie auch den Koffer mit einem Stück der Leine, die Modeste ihnen verkauft hatte, an die Wand.
Der Matrose prüfte, ob auch alles fest genug war, und nickte zufrieden. »Ganz gut! Jetzt ich zeige Ihnen, wie Hängematten befestigt werden. Die dürfen nicht durchhängen, sonst schwingen sie zu sehr und Sie rempeln dauernd Ihre Nachbarn an.«
Grinsend brachte Bertrand die erste Hängematte absichtlich falsch an und stieg hinein. Er hing fast bis auf den Boden durch, und als er ein paarmal hin und her schwang, war deutlich zu sehen, dass er sowohl gegen die Rückwand wie auch gegen die nächste Hängematte stoßen würde.
»Alles begriffen?«, fragte er die Passagiere, die eingeschüchtert nickten. »Also gut! In einer Stunde seid ihr fertig. Ich kontrolliere alles nach, und wenn was nicht stimmt, sind ein paar Francs fällig.« Mit diesen Worten verließ Bertrand das Zwischendeck und stieg wieder nach oben.
Gisela sah ihm nach und schüttelte sich. »Wo sind wir hier nur hingeraten?«
»Auf ein Schiff, das nach Amerika fährt«, antwortete Walther und begann, ihre beiden Hängematten so aufzuhängen, wie Bertrand es von ihnen gefordert hatte.
3.
I n einem hatte Kapitän Buisson nicht gelogen. Die Loire legte noch am selben Tag ab und steuerte in die Seine-Bucht hinein. Obwohl es sich dabei um einen Teil des Ärmelkanals handelte und nicht den offenen Ozean, schaukelte der Zweimastschoner so stark in den Wellen, dass die Mägen etlicher Passagiere rebellierten. Zwar gab es am Heck einen Abtritt, der etwas höher lag als das Zwischendeck und zu dem eine steile Leiter führte. Doch die meisten, die von der Seekrankheit erfasst wurden, erreichten ihn nicht mehr und erbrachen an Ort und Stelle. Die Würgegeräusche zerrten ebenso an Giselas Nerven wie der säuerlich stechende Geruch, der schon bald den Raum erfüllte.
»Kann man nicht Luft hereinlassen«, stöhnte sie, als sie ebenfalls kurz vor dem Erbrechen stand.
Walther stand auf und sah sich um, doch er entdeckte weder ein Fenster noch eine Luke. Daher wollte er Gisela nach oben bringen. In dem Augenblick bemerkte er, dass ein anderer Passagier gerade an Deck steigen wollte, aber bereits am Niedergang von Matrosen zurückgehalten wurde. Als der Mann nicht nachgab, sondern zu schimpfen begann, bekam er einen Fußtritt und stürzte zu Boden. Gleichzeitig wurde oben die Luke zugeschlagen, und der letzte, gerade noch fühlbare Luftzug erlosch.
»Was sind das nur für Menschen, die uns so leiden lassen?«, rief eine Frau verzweifelt.
Walther schaute auf, denn sie hatte es auf Deutsch gesagt. Allerdings hatte er nicht die Zeit, sie anzusprechen, denn er musste sich um Gisela
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