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Das goldene Ufer

Das goldene Ufer

Titel: Das goldene Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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begreifen schien, dass es ihm tatsächlich ans Leben gehen sollte.
    Gertrude hörte aus dem Stimmengewirr heraus, dass der Dieb allein reiste. So gab es niemanden, der zu seinen Gunsten sprechen konnte, und diejenigen, die er bereits bestohlen hatte oder die es wenigstens behaupteten, hofften, aus seinem Besitz entschädigt zu werden.
    Als Gertrude Walther dies übersetzte, drehte dieser sich um und warf einen raschen Blick auf den Niedergang. Es wunderte ihn nicht, Bertrand und zwei weitere Matrosen mit einem Bündel heraufkommen zu sehen, welches wohl den gesamten Besitz des Diebes enthielt, und dieses hinter dem Rücken der Passagiere zur Achterkajüte des Kapitäns zu tragen.
    Sonst bemerkte niemand, was geschah, denn die Leute starrten Buisson an, der eben noch einmal mit lauter Stimme das Urteil verkündete.
    »Jawohl, hängt ihn auf!«, rief der Anführer der Normannen und reckte dem Dieb die geballte Faust entgegen.
    »Das dürft ihr nicht!«, wimmerte dieser. »Ich habe das Recht auf einen Priester und auf ein ordentliches Gerichtsverfahren.«
    »Das Gerichtsverfahren war ordentlich. Ich bin der Kapitän und als solcher der oberste Richter auf meinem Schiff. Und was den Pfaffen angeht, so wirst du in der Hölle genug antreffen, um ausgiebig bei ihnen beichten zu können. Hievt ihn hoch!«
    Der Befehl galt vier Matrosen. Einer legte die Seilschlinge um den Hals des Verurteilten, zog sie fest und nickte den anderen zu. Diese packten das Seil, das sie über den oberen Gaffelbaum des Hauptmastes geworfen hatten, und holten es ein.
    Der Dieb wurde noch oben gerissen und strampelte noch eine Zeitlang mit den Beinen, während sein Gesicht sich wie unter schmerzhaften Krämpfen verzog. Dann zitterte er nur noch und hing schließlich regungslos am Seil.
    »Heilige Maria Muttergottes, bitte für den armen Sünder und steh uns bei in aller Not!«, betete Gisela leise.
    Sie hatte die Augen von der Hinrichtung abwenden müssen, während Walther auf den Toten starrte und sich eine Mitschuld daran gab, dass der Mann gehängt worden war. Doch wenn er nicht gerufen hätte, wäre Gertrude in die Gewalt der Schiffsleute geraten, und denen traute er alles Schlechte zu.
    Wenig später erklärte Buisson den Mann für tot und ließ ihn über Bord werfen. Danach wandte er sich mit blitzenden Augen an seine Passagiere. »Ihr könnt jetzt wieder in euer Quartier gehen. Aber eines sage ich euch: Beim nächsten Tumult feuern wir keine Warnschüsse mehr ab, sondern halten hinein!«
    Die Mienen der Leute erinnerten Walther an verschreckte Schafe. Selbst der alte Normanne hielt den Mund, wenigstens so lange, bis er wieder unten im Zwischendeck war und entdeckte, dass der Kapitän die Habe des Toten hatte wegbringen lassen.
    »Was soll das?«, rief er empört. »Der Mann hat etlichen von uns Geld gestohlen. Das wollen wir wiederhaben!«
    Er stieg wieder den Niedergang hinauf, um an Deck zu kommen, doch Bertrand fegte ihn mit einem Fußtritt von der Treppe. Der Mann schlug schwer auf den Boden und stieß einen Schrei aus. »Mein Arm! Du Schwein hast mir den Arm gebrochen!«
    »Selbst schuld!«, rief Bertrand. »Du weiß doch, dass du nur an Deck kommen darfst, wenn du dazu aufgefordert wirst. Jeder, der es ohne Erlaubnis versucht, bekommt eins auf die Rübe. Also sei froh, dass du dir nur die Pfote und nicht das Genick gebrochen hast!«
    Der Normanne stand auf und hielt sich den Arm, doch sein Zorn überwog den Schmerz, und er schrie Bertrand an: »Ich will das Geld haben, das uns dieser Schuft gestohlen hat!«
    »Wir auch!«, stimmten ihm andere zu.
    »Du konntest beweisen, dass dir das Medaillon entwendet wurde. Kannst du das bei dem angeblich gestohlenen Geld auch? Steht vielleicht dein Name darauf?«, fragte Bertrand spöttisch.
    Einige Männer sahen aus, als würden sie dem Matrosen am liebsten sämtliche Knochen brechen, doch die Drohung des Kapitäns, ab sofort scharf schießen zu lassen, hielt sie davon ab.
    »Da der Mann allein gereist ist und keine Verwandten bekannt sind, hat unser lieber Kapitän Buisson seinen Besitz im Namen Seiner Majestät, König Charles X., in Beschlag genommen.« Bertrands Miene verriet jedem, dass der französische König ebenso wenig von dem Geld sehen würde wie seine Beamten. Doch keiner der Passagiere fand den Mut, gegen diesen offensichtlichen Betrug aufzubegehren.
    Gertrude machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wenn alle Diebe hier an Bord gehängt würden, wüsste ich nicht mehr, wer das Schiff

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