Das goldene Ufer
jedoch die Blicke nicht aus dem Sinn, mit denen Lucien die Frauen gemustert hatte, und er beschloss, für den Rest der Reise noch mehr auf der Hut zu sein.
10.
E s herrschte eine seltsame Stimmung im Zwischendeck. Während der Überquerung des Atlantiks war die Loire von den Wellen hochgerissen worden und wieder in die Wellentäler gesackt. Entsprechend hatte der Rumpf gearbeitet und geknarzt. Doch nun wirkte die See um das Schiff wie ein Spiegel, und es war so still, dass Gisela das Trippeln der Ratten hören konnte, die unter dem Zwischendeck über die Ladung liefen.
Es war Nacht, und die meisten Passagiere nützten die Stille auf dem Schiff, um zu schlafen. Auch Walther schnarchte leise, hatte aber seine Hand zu Gisela herübergestreckt und hielt die ihre fest. Sie freute sich über seine Zuwendung und glaubte nun selbst, dass alles gut werden könnte.
Nach einer Weile hörte sie, wie die Luke geöffnet wurde, und richtete sich so auf, dass sie über die anderen Schläfer hinwegsehen konnte. Tatsächlich stieg jemand leise den Niedergang herab, blieb unten kurz stehen und blickte sich um.
Die Laterne in der Mitte des Zwischendecks war wie gewohnt herabgedreht, flackerte aber nur noch so schwach, als sei sie am Abend nicht wie sonst üblich von den Matrosen mit Tran aufgefüllt worden. Daher war es zu dunkel, als dass Gisela den Mann hätte erkennen können. Sie zweifelte jedoch nicht daran, dass es sich um Lucien handelte. Der Matrose machte ein paar Schritte in ihre Richtung, blieb dann aber stehen und kehrte zum Niedergang zurück.
Gisela hoffte schon, er würde wieder an Deck steigen. Doch er verharrte noch einmal und starrte auf die Schläfer in der Nähe des Niedergangs.
Die ruhige Lage des Schiffs hatte Gertrude, die mit der Hängematte nicht gut zurechtkam, dazu verlockt, ihre Decke in einer Ecke auszubreiten und darauf zu schlafen.
Auf so eine Gelegenheit hatte der Matrose offensichtlich gehofft. Er löste seinen Leibriemen, holte sein Glied heraus und beugte sich über die schlafende Frau. Mit einer Hand hielt er ihr den Mund zu und schlug mit der anderen die Röcke hoch, bis ihr Unterleib entblößt vor ihm lag.
Während Gertrude langsam erwachte und sich dabei noch in einem Traum wähnte, glitt der Matrose zwischen ihre Schenkel. Dadurch wurde Gertrude endgültig wach, doch sie konnte weder um Hilfe rufen noch den Mann von sich wegdrücken.
Zwar konnte Gisela nicht erkennen, was dort vor sich ging. Da Lucien jedoch das Zwischendeck nicht verlassen hatte, befürchtete sie Schlimmes und weckte Walther.
»Dort passiert etwas!«
»Rammeln wieder ein paar Leute?«, fragte dieser schlaftrunken, wurde aber hellwach, als er ein ersticktes Stöhnen vernahm, das nicht nach ehelicher Lust klang. Besorgt fasste er nach seiner Pistole und kletterte aus der Hängematte.
»Was ist dort los?«
Seine Stimme weckte Martin Jäger, der neben Gertrude schlief. Der Elsässer stemmte sich hoch, sah den Schatten, den Lucien in dem düsteren Licht warf, und wollte zuerst nicht glauben, dass seine Nachbarin sich einem anderen Mann hingab. Dann aber begriff er, was tatsächlich geschah, und verließ seine Hängematte.
»Du Lumpenhund! Das hast du nicht umsonst getan«, brüllte er, während er den Matrosen mit einem Wutschrei von der Frau zerrte.
Lucien griff nach seinem Messer. Doch nun waren weitere Männer aufgewacht und kamen dem Elsässer zu Hilfe. Einer packte Luciens Arm und drehte ihn um, bis dieser das Messer fallen ließ, während die anderen voller Wut auf ihn einschlugen.
Lucien begriff, dass es um sein Leben ging, und schrie gellend um Hilfe. Allerdings musste er noch etliche Hiebe einstecken, bis oben die Luke aufgerissen wurde. Bertrand und der Kapitän kamen, Pistolen in den Händen, herab, während ein weiterer Matrose eine Laterne in der Hand hielt, um die Szene zu erleuchten.
»Was ist hier los?«, fragte Buisson barsch.
Lucien entwand sich den Armen der Passagiere und humpelte zu seinem Kapitän. »Diese Leute haben mich grundlos geschlagen«, giftete er.
Wütend funkelte Buisson Martin Jäger und die anderen Männer an. »Keine lumpige Landratte schlägt einen meiner Matrosen ungestraft!«
»Dieser Mann hat sich ins Zwischendeck geschlichen und sich an meiner Nachbarin vergangen«, rief Jäger nicht weniger zornig als der Kapitän.
Hérault Buisson musterte Lucien mit einem finsteren Blick und bedeutete ihm zu verschwinden. Danach wandte er sich wieder Jäger zu. »Es ist meine Aufgabe,
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