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Das goldene Ufer

Das goldene Ufer

Titel: Das goldene Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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was Lucien dir angetan hat. Das ist unseren Frauen zum Glück bisher erspart geblieben. Doch was ist? Wollen wir hierbleiben und warten, bis die Wölfe kommen und uns fressen, oder stürmen wir an Deck und machen mit Buisson ein Ende?«
    »Wer soll dann das Schiff in den Hafen bringen?«, wollte einer der Männer wissen.
    Während die anderen Passagiere unschlüssig diskutierten, kletterte Walther den Niedergang hinauf und überprüfte die Luke. Zu seiner Überraschung war diese nicht verriegelt worden, und er konnte sie vorsichtig ein Stück anheben. Doch als er durch den Spalt nach draußen spähte, nahm er eine pechschwarze Wand wahr, die mit großer Geschwindigkeit näher kam. Im nächsten Moment trafen das Schiff weitere Stöße, die es wie ein Spielzeug packten und herumwarfen.
    Um nicht dasselbe Schicksal zu erleiden wie Bertrand, stieg Walther vorsichtig ins Zwischendeck hinab und hob die Hand. »Martin, bitte übersetze für mich: Alle herhören, Leute! Wie es aussieht, gerät die Loire gerade in einen Sturm. Wir sollten daher die Auseinandersetzung mit Buisson und seinen Männern nicht in dieser Stunde suchen. Sichert euer Gepäck, damit nichts herumfliegen kann, und setzt euch in die Hängematten. Es wird uns zwar durchschütteln, aber das ist besser, als wenn wir im Sturm herumgeschleudert werden und uns sämtliche Knochen brechen.«
    »Verknotet die Hängematten gut an den Haken und achtet darauf, dass sie nicht zu sehr durchhängen«, setzte Jäger hinzu und begann sogleich, Gertrudes Hängematte festzuzurren.
    »Was ist mit dem?«, fragte Thierry und wies auf Bertrand.
    »Bindet ihn irgendwo fest! Um den kümmern wir uns, sobald es möglich ist!« Walther kehrte an seinen Platz zurück und vertäute seinen Koffer und die Reisetasche so, dass diese sich auch bei einem starken Sturm nicht lösen konnten. Während er die Hängematten überprüfte, betete Gisela neben ihm voller Inbrunst.
    Inzwischen war die Stille, die seit etlichen Stunden geherrscht hatte, einem sich stetig steigernden Rauschen und Pfeifen gewichen. Der Schiffskörper stieg ruckartig hoch und wurde wieder in die Tiefe gerissen. Dabei ächzte, knarzte und knirschte der Rumpf, dass allen angst und bange wurde.
    Von oben klangen die Stimmen des Kapitäns und seines Maats herab, die die Matrosen anbrüllten, die Segel zu reffen. Gleichzeitig bockte die Loire so stark, dass die Befestigungen mehrerer Hängematten nachgaben und diese samt den Menschen darin zu Boden stürzten. Ein Kind schrie vor Schmerz auf, und die Mutter rief, es habe sich den Arm gebrochen. Aber niemand war in der Lage, den beiden zu helfen.
    Immer höhere Wellen schlugen nun gegen die Loire und überspülten sie. Ihr Wasser drang durch die Luke ins Zwischendeck und durchnässte die Passagiere, deren Hängematten in der Nähe des Niedergangs befestigt waren. Doch auch das Deck über ihnen hielt nicht dicht. Immer wieder wurde Wasser durch die schlecht kalfaterten Ritzen und Spalten gepresst und floss auf die erstarrten Menschen herab.
    »Das ist Gräfin Elfredas Fluch! Sie will nicht, dass wir lebend nach Amerika kommen«, schrie Gisela in das Toben des Sturmes hinein.
    Walther konnte in dem zunehmenden Lärm keine Antwort mehr geben, aber er versuchte, ihre Hängematte so festzuhalten, dass sie nicht zu stark umhergeschleudert wurde. Im Gegensatz zu seiner Frau glaubte er nicht an die Wirksamkeit von Flüchen, doch während das Schiff von dem Orkan wie ein Ball herumgeworfen wurde, fand auch er, dass ihre jetzige Situation der Gräfin auf Renitz ausnehmend gut gefallen würde.

Neunter Teil
    Tejas
    1.
    W alther hätte nicht einmal zu schätzen vermocht, wie lange der Sturm bereits wütete. Wasser strömte den Niedergang herab, drang immer stärker durch die Spalten im Deck herein und hatte bereits die Laterne gelöscht. Hie und da übertönten die panikerfüllten Stimmen der Passagiere das Brausen des Sturms und das Krachen des Gebälks. Walther hatte seine und Giselas Hängematten mit einer Leine aneinandergebunden, so dass sie nicht mehr so stark hin und her pendelten. Vor allem aber konnten sie nun einander an den Händen fassen und fühlten sich ein wenig getröstet.
    Andere hatten nicht so viel Glück. Immer wieder vernahmen Walther und Gisela entsetzte Aufschreie. Mütter riefen nach ihren Kindern, Männer nach ihren Frauen, und viele beteten verzweifelt zu Gott und allen Heiligen, ihnen in dieser Not beizustehen.
    Am schlimmsten erging es denen, deren Hängematten

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