Das goldene Ufer
Thierry sein. Diesem war es gelungen, sich von der Strömung des Flusswassers fernzuhalten, und er würde in kurzer Zeit das Ufer erreichen. Obwohl Walther sich mehrfach über Thomé Laballe geärgert hatte, suchte er verzweifelt nach dem Franzosen und entdeckte ihn ein ganzes Stück hinter dem Normannen. Den Mann schien die Kraft zu verlassen, denn er versuchte auf geradem Weg das Ufer zu erreichen. Damit aber schwamm er genau auf die Flussmündung zu.
»Nein, nicht, du musst nach …« Walther stockte einen Moment, um sich in die Lage des Schwimmers zu versetzen und das richtige Wort zu finden. »Du musst nach rechts!«
Zwar versuchte Thomé, seinem Ruf zu folgen, aber seine Bewegungen wurden immer kraftloser. Nun hielt es Walther nicht mehr an Land. Er stürmte auf das Ufer zu und streifte unterwegs Rock und Weste ab. Die Schuhe zog er am Strand von den Füßen, dann schnellte er ins Wasser und schwamm Thomé mit raschen Zügen entgegen.
Jetzt merkte auch Thierry, was sich hier tat, und machte kehrt. Fast gleichzeitig mit Walther erreichte er Thomé und packte ihn mit einer Hand. Walther schnappte sich die andere, dann zogen sie den Mann mit sich. Die Strömung war bereits zu spüren, und sie forderte den völlig erschöpften Männern noch einmal alles ab. Thomés Bewegungen wurden von Augenblick zu Augenblick schwächer.
»Reiß dich zusammen, oder willst du, dass deine Frau Witwe wird?«, schrie Walther ihn an.
Thomé schüttelte mit verbissener Miene den Kopf und begann wieder zu schwimmen. Zwar spürten sie noch immer die Strömung, die sie hinaustragen wollte, doch nun bildeten einige der Schiffbrüchigen eine Kette und kamen ihnen entgegen. Mit einem letzten, energischen Zug seines freien Armes hielt Walther auf den vordersten Mann zu und streckte ihm die Hand entgegen. Dieser ergriff sie, und die Helfer zogen die drei Schwimmer Richtung Ufer. Kurz darauf spürte auch Walther wieder Boden unter den Füßen und atmete auf. Im weichen Untergrund kostete es die Männer erhebliche Anstrengung, das trockene Ufer zu erreichen. Die drei Geretteten taumelten noch ein paar Schritte weiter und sanken dann hustend und keuchend zu Boden.
Gisela lief auf Walther zu und fasste nach seiner Hand. »Du bist ein tapferer Mann, mein Schatz, doch manchmal wünschte ich, du würdest mehr an dich als an andere denken«, sagte sie unter Tränen. Sie wischte diese jedoch rasch wieder weg und wies auf die Kleidungsstücke, die sie eingesammelt hatte.
»Um Laballe zu retten, hättest du beinahe riskiert, das Geld zu verlieren, das du noch hattest.«
»Nicht alles«, antwortete Walther grinsend. »Einen Beutel trage ich noch unter dem Hemd. Es sind zwar nur noch ein paar Taler, doch ich hatte das Gefühl, als würden die Münzen mich nach unten ziehen.«
»Auf jeden Fall sind wir heil an Land gekommen. Das ist im Grunde mehr wert als alles Geld der Welt.« Gisela lächelte erleichtert und dankte der Heiligen Jungfrau dafür, sie und die anderen aus dieser Not errettet zu haben. Auch die übrigen Schiffbrüchigen begriffen nun, dass es vorbei war. Thierrys Schwester Marguerite sank auf die Knie, und es fehlte nicht viel und sie hätte den Sand zu ihren Füßen geküsst.
Andere hingegen dachten an ihre Toten, die auf der Loire zurückgeblieben waren, und brachen in Tränen aus. Vor allem das Ehepaar Poulain, dem ihre älteste Tochter Cécile als einziges von ihren Kindern geblieben war, jammerte zum Gotterbarmen.
Ihnen blieb jedoch nicht viel Zeit zum Trauern, denn Gisela wies aufgeregt auf die niedrigen Hügel in der Ferne. »Vorhin habe ich dort einen Reiter gesehen. Also leben hier Menschen.«
4.
W alther wollte nach dem Reiter Ausschau halten, war aber viel zu erschöpft. Trotz Giselas Hilfe schaffte er nur ein paar Schritte. Dann sank er in die Knie und rang nach Luft. Den meisten Schiffbrüchigen ging es ähnlich. Auch sie lagen entkräftet am Boden und schliefen oder starrten einfach vor sich hin.
Ein paar Frauen wanderten mit wackligen Schritten umher und suchten nach einer Quelle, an der sie ihren Durst stillen konnten. Vom Fluss hielten sie sich fern, denn dessen Wasser war schlammig und seine Strömung so stark, dass jeder, der hineinfiel, unweigerlich aufs Meer hinausgetragen würde. Schließlich entdeckte ein Grüppchen das Bett eines tief eingeschnittenen Bachs, der von den Hügeln kam und trinkbares Wasser führte.
Gisela war den Rufen der anderen Frauen gefolgt und brachte das klare Nass in ihren zu einer
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