Das goldene Ufer
warf einen spöttischen Blick auf Walther, der bislang nie durch irgendwelche Scherze aufgefallen war.
Dies war auch dem Pastor bewusst, und er bedauerte, dass er sich bei der Erziehung des jungen Grafen zu sehr von dessen Mutter hatte beeinflussen lassen. Oft genug hatte er Walther für Nichtigkeiten bestraft, um auch Diebold den einen oder anderen Rutenstreich versetzen zu können. Die Zeiten waren mittlerweile vorbei, mit Gewalt konnte man bei dem jungen Grafen nichts mehr ausrichten. Aber anders, als Medard von Renitz es annahm, nützte es nichts, Walther seinem Sohn als Vorbild hinzustellen.
Künnen konnte nur hoffen, dass das Studium selbst einen mäßigenden Einfluss auf seinen Schützling ausüben würde. Dabei kämpfte er mit dem Gefühl, Walther viel zu streng und Diebold zu lasch behandelt zu haben. Stattdessen hätte er den jungen Renitz sowohl in seiner Kinderzeit wie auch später, nachdem Diebold aus dem Krieg gegen Napoleon zurückgekehrt war, gewaltig an den Ohren ziehen und ihm Höflichkeit und Anstand mit der Rute einbleuen müssen.
Während Pastor Künnen seinen Gedanken nachhing, erhielt der junge Renitz Wein und Braten und begann zu essen. Walther wählte einen Krug Bier und einen Teller Eintopf, denn als Kostgänger des Grafen durfte er nicht so verschwenderisch leben wie dessen Sohn.
Eine Weile saßen alle drei in Gedanken versunken am Tisch. Diebolds Blicke folgten der strammen Schankmagd, die etwa in seinem Alter war. Noch während er sich fragte, wie er sie dazu bewegen könne, ihn am Abend in ihre Kammer zu lassen, klopfte der Pastor mit den Fingerknöcheln auf den Tisch.
»Graf Diebold! Walther! Ich freue mich, dass ihr gut nach Göttingen gekommen seid. Heute könnt ihr gemütlich beim Wein oder Bier sitzen, doch ab morgen beginnt der Ernst des Studentenlebens für euch. Wir werden um acht Uhr die Witwe Haun aufsuchen, die euch für die nächsten drei Jahre Obdach bieten wird. Danach begeben wir uns zur Universität, melden eure Ankunft und sprechen anschließend mit Professor Artschwager, unter dessen Aufsicht ihr sowohl in Philosophie wie auch in Ökonomie in sämtlichen Semestern stehen werdet. Von ihm erhaltet ihr eure weiteren Anweisungen.«
Es passte Diebold wenig, im gleichen Atemzug mit dieser Dienerkreatur genannt zu werden, aber ihm war klar, dass er Walthers Unterstützung brauchte, wenn er sein Studium erfolgreich abschließen wollte. Da der Kerl aus Gnade und Barmherzigkeit mit ihm zusammen studieren durfte, sollte dieser für ihn mitbüffeln.
»Ich habe keine Einwände«, sagte er daher und bestellte sich den nächsten Krug Wein.
Künnen hob kurz die Augenbrauen, sagte aber nichts, denn er wusste, dass auf Diebold eine herbe Enttäuschung wartete. Das Quartier, das er im Auftrag des Grafen für die beiden besorgt hatte, war mit Sicherheit nicht nach dem Geschmack des jungen Herrn. Nun fragte er seine beiden Schüler nach deren Wissensstand aus und musste erkennen, dass der junge Graf während seiner Militärübung kein einziges Lehrbuch zur Hand genommen hatte. Walther hingegen war gut auf das Studium vorbereitet.
»Warst schon immer ein Streber«, sagte Diebold und tat die diesbezügliche Bemerkung von Künnen mit einer verächtlichen Handbewegung ab.
»Auf jeden Fall werdet Ihr Euch bemühen müssen, Graf Diebold, die Lücken in Eurem Wissen so bald wie möglich zu schließen. Professor Artschwager gilt als sehr streng, und ein Student, der bei einer Klausur versagt, hat es schwer, sich weiter auf dieser Universität zu behaupten!«, warnte Künnen ihn.
Graf Renitz hatte ihm den Befehl gegeben, alles zu tun, um seinen Sohn an die Kandare zu nehmen. Dann, so hoffte der alte Herr, würde Diebold seine zahlreichen Unarten ablegen. Sowohl die Witwe Haun, die künftige Hauswirtin der beiden Studiosi, wie auch den Professor hielt der Pastor für die geeigneten Personen, Diebold Schranken zu setzen.
Er ließ dem jungen Grafen die Zeit, seinen Wein auszutrinken, schritt aber ein, als Diebold noch einen dritten Krug bestellen wollte. »Es ist bereits spät, und ihr müsst morgen früh aufstehen. Daher werden wir jetzt zu Bett gehen!«
»Es ist doch noch nicht einmal neun Uhr!«, protestierte der junge Renitz.
»Morgenstund hat Gold im Mund«, konterte der Pastor gelassen und stand auf.
Walther tat es ihm gleich, während Diebold mit sich kämpfte. Doch als ihm klarwurde, dass Künnen seinem Vater mit Sicherheit berichten würde, wenn er seiner eigenen Wege ging,
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