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Das goldene Ufer

Das goldene Ufer

Titel: Das goldene Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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ganze Liste von Dingen, die laut der Leitung der Universität strengstens verboten waren. Dazu gehörten politische Äußerungen, die geeignet waren, die bestehende Ordnung in Frage zu stellen, das Versammeln in Gruppen, in denen politische Meinungen geäußert wurden, sowie Aufruhr in der Stadt und Widerstand gegen die Anweisungen der Universität und der Behörden.
    Walther begriff, dass er noch sehr viel über die Welt, in der er lebte, lernen musste, und das sehr bald.
    Artschwagers Ansprache dauerte fast eine Stunde, dann forderte er die Studenten einzeln auf, sich vorzustellen und zu berichten, auf welchen Schulen und Gymnasien sie gelernt hatten.
    Die Fülle von Namen, die Walther nun vernahm, konnte er sich nicht merken. Insgeheim teilte er seine Kommilitonen in drei Gruppen auf, in die, die ihm sympathisch erschienen, in die Arroganten, deren Gesellschaft er nach Möglichkeit meiden würde, und in den größeren Rest, den er noch genauer kennenlernen wollte.
    Nach einer Weile wurde er unruhig. Es waren nur noch drei andere vor ihm, und Diebold hatte sich noch nicht blicken lassen. Nach ein paar Minuten stellte sich sein linker Nebenmann vor, und dann war es an ihm, aufzustehen und zu erklären, wer er sei.
    »Mein Name ist Fichtner, Walther Fichtner. Ich bin auf dem Besitz des Grafen Renitz aufgewachsen und erhielt zusammen mit dessen Sohn, Graf Diebold, privaten Unterricht durch unseren Pastor Künnen.« Eigentlich wollte er sich sogleich wieder setzen, als ihm einfiel, dass er Diebold unbedingt noch etwas Zeit verschaffen musste. Daher sprach er weiter und flehte den jungen Renitz in Gedanken an, sich zu beeilen.
    »Mein Vater war der Förster des Grafen und später der erste Wachtmeister in dessen Regiment. Er kam im Russlandfeldzug ums Leben, mein Vater meine ich, nicht der Graf.« Kurz aufflackerndes Lachen der anderen verschaffte ihm etliche Sekunden, in denen er seine Gedanken ein wenig ordnen konnte.
    »Später nahm ich als Trommelbub am letzten Feldzug gegen Napoleon teil und machte dabei die Schlachten von Ligny und Waterloo mit …«
    In dem Moment wurde er von Diebold unterbrochen, der gerade zur Tür hereingehuscht war. »Ich selbst habe meinen Vater in beiden Schlachten als Fähnrich unterstützt und kann mich rühmen, dabei mehr als nur meine Pflicht erfüllt zu haben. Mittlerweile stehe ich im Rang eines Leutnants der Reserve im Königreich Preußen.«
    Während er dies sagte, legte Diebold den Weg bis zu Walthers Reihe zurück und setzte sich neben ihn. Bevor Professor Artschwager ihn wegen seines späten Kommens zur Rede stellen konnte, sprach der junge Renitz ihn mit spöttischer Miene an.
    »Ich war auf dem Abort. Nur ist er in diesem Fuchsbau hier schwer zu finden.«
    An dieser Bemerkung hatte Artschwager zu schlucken. Da er jedoch nicht zu sagen vermocht hätte, ob Graf Diebold nur kurz den Saal verlassen hatte oder ob er gerade erst erschienen war, musste er dessen Behauptung hinnehmen. Daher forderte er den nächsten Neuling auf, sich vorzustellen, und schien schließlich froh zu sein, als der letzte sein Sprüchlein aufgesagt hatte.
    »Sie werden sich nun alle nach Ihren jeweiligen Studiengängen zusammenfinden und anschließend gemeinsam das Mittagsmahl einnehmen. Hinterher werden Sie die Güte haben, sich mit den Hörsälen und besonders mit der Bibliothek vertraut zu machen, die Sie hoffentlich eifrig benutzen werden. Die erste Vorlesung beginnt morgen um acht Uhr. Noch eins: Die drei Herren mit ihren leuchtenden Mützen werden sich etwas weniger auffällige Kopfbedeckungen besorgen! Auch bei ihren Röcken sollten die Herren darauf achten, dass diese nicht den Narrenröcken sogenannter Burschenschaftler zu ähnlich sehen. Und damit gesegnete Mahlzeit!«
    Mit diesen Worten verließ der Professor das Pult und wandte sich zum Gehen. Die übrigen Herren folgten ihm, und hinter ihnen traten mehrere Studenten eines höheren Semesters ein und forderten die Frischlinge auf, mit ihnen zu kommen.
    Walther packte seine Sachen zusammen und gehörte zu den Letzten, die den Raum verließen. Aus diesem Grund musste er im Speisesaal am hintersten Tisch Platz nehmen, während Diebold ganz vorne bei einigen jungen Herren saß, die unzweifelhaft der besseren Gesellschaft angehörten. Sein Bekenntnis, an der Schlacht von Waterloo teilgenommen zu haben, machte ihn für die anderen interessant.
    Im Gegensatz zu ihm tat Walther sich schwer, Kontakte zu knüpfen. Ihm gegenüber saß der Student, der ihn

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