Das goldene Ufer
fragte der Professor den jungen Grafen mit gerunzelter Stirn.
»Was denn?«, antwortete Diebold mit einer Gegenfrage.
»Es geht um Seinen Rock. Er hat einen unauffälligeren zu tragen.«
»Das heißt nicht Er, sondern Ihr und Herr Graf«, schäumte Diebold auf.
»Das mag auf Seinem Gut zu Hause der Fall sein, doch hier ist Er nur ein Student wie alle anderen und muss sich die ihm gebührende Achtung erst noch erwerben.« Der Tonfall des Professors kam einer Ohrfeige gleich.
Künnen nickte zufrieden. Er hatte seinen alten Freund im Auftrag des Grafen von Renitz darüber aufgeklärt, wie mit Graf Diebold zu verfahren sei, und traute Artschwager zu, den jungen Renitz zurechtzustutzen.
Allerdings sah es im Augenblick nicht so aus, als würde Diebold sich fügen wollen. Er ballte die Fäuste, und seine Augen sprühten Feuer. Noch mehr als die Zurechtweisung selbst ärgerte es ihn, dass diese in Walthers Gegenwart erfolgt war. Aber er begriff, dass er am kürzeren Hebel saß und erst einmal nachgeben musste.
»Wenn der Herr Professor darauf besteht, werde ich einen schlichteren Rock anziehen«, sagte er mühsam beherrscht.
»Es wird nicht beim Rock allein bleiben«, antwortete Artschwager. Das klang wie eine Drohung, und Diebold begriff, dass der Professor ihn unnachgiebig von der Universität weisen würde, wenn er gegen die Regeln verstieß und sich erwischen ließ. Darauf durfte er es nicht ankommen lassen. Zwar würde seine Mutter ihn verstehen, doch bei seinem Vater hatte er dann noch schlechtere Karten.
5.
Z ufrieden, dass der Professor Diebold bereits am ersten Tag seine Grenzen aufgezeigt hatte, führte Künnen die beiden jungen Männer zum Gasthof zurück, um deren Gepäck zu holen und es zum Haus der Witwe Haun zu bringen. Diebolds Vorschlag, in der Wirtschaft noch ein Glas Wein zu trinken, lehnte er kategorisch ab.
Das war nur die erste von vielen Einschränkungen, die Diebold in den nächsten Tagen hinnehmen musste. Die Witwe Haun war äußerst resolut in der Durchsetzung ihrer Vorschriften. Als der junge Graf das Haus am ersten Abend noch einmal verlassen wollte, um ins Gasthaus zu gehen, fand er die Tür verschlossen vor. Kaum hatte er wütend an der Klinke gerüttelt, wieselte auch schon Jule, das Dienstmädchen der Hausherrin, heran und sah missbilligend zu ihm auf.
»Weiß der Herr nicht, wie spät es ist?«
Unwillkürlich zog Diebold seine Uhr aus der Tasche und blickte darauf. »Es ist kurz nach sieben. Die Tür sollte aber erst um acht abgeschlossen werden!«
»Da sich die beiden Herren bereits im Haus befinden und heute gewiss nicht mehr zu einer Vorlesung müssen, hat meine Herrin befohlen, die Tür zu versperren. Es treibt sich viel Gesindel hier in Göttingen herum, und die meisten Studenten sind eine wahre Landplage. Die legen sich mit ehrbaren Bürgersöhnen an und klopfen des Nachts gegen die Fensterläden. Im Rausch haben die Studiosi sogar schon Fensterscheiben eingeschlagen und sich davongemacht, anstatt wie anständige Bürger für den Schaden aufzukommen!« Der Vortrag kam so flüssig, als hätte die Frau ihn schon öfter gehalten.
Diebold ärgerte sich, wie in einem Kerker eingesperrt zu sein, doch es blieb ihm nichts anderes übrig, als in seine Kammer zurückzukehren. Dort warf er sich in voller Kleidung aufs Bett und drehte der Witwe und ihrem Hausgeist in Gedanken den Hals um.
Im Gegensatz zu dem jungen Renitz kam Walther mit den Einschränkungen gut zurecht. Als er sich am nächsten Morgen sorgfältig anzog und seine Hefte und Schreibsachen einpackte, verspürte er sogar ein Hochgefühl, das selbst Diebolds spöttischer Miene standhielt. Frohgemut setzte er sich an den Frühstückstisch und griff zu.
Der junge Graf murrte vor sich hin. Auf Schloss Renitz hatte er schon morgens fürstlich gespeist und rümpfte nun angesichts der einfachen Biersuppe und des Stücks Brot mit aufgestrichenem Hagebuttenmark die Nase.
»Ich glaube, ich werde unterwegs in der Post einkehren«, sagte er zu Walther.
Dieser sah ihn erstaunt an. »Aber wir müssen doch um neun Uhr bei unserer ersten Vorlesung sein!«
»Du wirst hingehen! Dann kannst du mir hinterher erzählen, was der Professor alles gesagt hat. Weltbewegendes wird es am ersten Tag nicht gleich sein.«
In diesem Moment begriff Diebold, welche Vorteile es mit sich brachte, Walther als Begleiter zu haben. Der Kerl konnte ihm alle unangenehmen Dinge abnehmen und eignete sich gegebenenfalls sogar als Sündenbock. Auf diese
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