Das Gottesmahl
gelangweilt und der Kälte
überdrüssig, motzte Das Erste Klassische Nostalgie-Trio
mittlerweile das Programm mit repertoirefremdem, derbem Liedgut auf,
das ungeachtet der historischen Authentizität von Jimmy Durante,
Bing Crosby oder den Andrew Sisters nie in der Öffentlichkeit
gesungen worden wäre. Die Serviererinnen waren es leid,
Schwächen für die Piloten und Seeleute vorzuspiegeln, und
die Männer verdroß es, daß die Kellnerinnen nichts
mehr für sie übrig hatten. Sonny Orbach und die
Harmonikanten hatten sich gänzlich aus der Affäre gezogen,
sie waren abgereist, um bei einem Bar-Mizwa-Fest in Connecticut als
Glenn Miller Band aufzutreten, eine angeblich schon vor langem
eingegangene Verpflichtung, von deren Erfüllung sie auch Olivers
Angebot, das Honorar zu verdoppeln, nicht zurückhalten konnte.
Die Hobbysoldaten, die noch Lust zum Tanzen verspürten,
mußten mit Myron Kowitzkys unzulänglicher
Klavierspielfähigkeit oder Sidney Pembrokes Victrola-Grammophon,
das Albert Flumes Original-78er-Schellackaufnahmen Tommy Dorseys,
Benny Goodmans und des echten Glenn Millers hervorkratzte, zufrieden
sein.
Oliver mußte es sich eingestehen: Sein großer Feldzug
stand am Rande des Zusammenbruchs. Nur durch dreiwöchiges
Herumsitzen und Nichtstun hatten Pembroke & Flume genügend
Einnahmen erzielt, um eine erstklassige D-Day-Inszenierung zu
veranstalten, und obschon die Vorstellung, einen Japsen-Golem zu
versenken, sie nach wie vor durchaus verlockte, drehten sich ihre
Überlegungen inzwischen doch weit stärker ums Heimkehren
und die Möglichkeit, einen einigermaßen tauglichen
Abklatsch der Normandie ausfindig zu machen. Und selbst wenn es
Oliver gelang, alle Beteiligten irgendwie dahin zu
überreden, daß sie in Point Luck blieben, bis ein
PBY-Fernaufklärer endlich die Valparaíso sichtete,
mußte befürchtet werden, daß Konteradmiral Spruance
wegen des scheußlichen arktischen Wetters keinen Einsatzbefehl
erteilte. Bei den Übungsflügen klemmten Landeklappen und
Fahrwerke. Benzinleitungen verstopften. Das Flugdeck überfror
schneller, als Kapitän Murrays Männer es enteisen konnten:
Es glich einer zusammenhängenden Eisfläche, die so
groß war wie der Spiegel des Hubble-Teleskops.
Oliver verbrachte diese trübseligen Tage an der Theke,
kritzelte beiläufig auf seinem Skizzenblock herum und versuchte
sich Gründe auszudenken, aus denen es vertretbar sein
könnte, auf die Vernichtung des Corpus Dei zu
verzichten.
»Freunde, ich hab ’ne Frage an euch«, meinte er,
während er eine Karikatur Myron Kowitzkys um die letzten
Feinheiten ergänzte. »Ist unsere Aktion… wirklich
gerechtfertigt?«
»Was soll das denn heißen?« fragte Barclay Cabot
zurück und mischte geschickt einen Packen Spielkarten.
»Vielleicht sollten wir gar nichts gegen den Leichnam
unternehmen«, sagte Oliver. »Vielleicht ist es klüger,
ihn der Welt zu zeigen, so wie Sylvia Endicott es an dem Abend
für richtig gehalten hat, als sie aus der Liga ausgetreten
ist.« Mitsamt dem Barhocker drehte er sich Winston Hawke zu.
»Es könnte ja denkbar sein, daß eine offene
Präsentation die wahre Revolution auslöst, oder nicht? Wenn
erst mal alle Menschen wissen, daß der Herrgott das Handtuch
geschmissen hat, pfeifen sie auf die Kirchen und machen sich daran,
das Arbeiterparadies zu errichten.«
»Du verstehst nicht viel vom Marxismus, was?« Winston
Hawke legte zwei Dutzend Frydenlund-Kronkorken zum
Hammer-und-Sichel-Symbol zusammen. »Leichnam oder kein Leichnam,
solange die Massen die Religion durch nichts Besseres ersetzen
können, lassen sie davon nicht die Finger. Aber sobald die
soziale Gerechtigkeit triumphiert, verfliegt der Gottesmythos«
– er schnippte mit den Fingern – »wie ein Furz im
Winde.«
»Ach, hör auf.« Auf wundersame Weise bewirkte
Cabot, daß aus dem Kartenstapel die Pik-Königin
hervorschwuppte. »Religion wird’s immer geben,
Winston.«
»Was veranlaßt dich zu dieser Auffassung?«
Angetrunken schwankte Al Jolson auf die Bühne.
»Ich sage bloß ein Wort«, antwortete Barclay
Cabot. »Tod. Religion bietet eine Lösung des Problems,
soziale Gerechtigkeit nicht.« Er wandte sich Oliver zu und
ließ dem Freund den Herz-Buben in den Schoß segeln.
»Aber das ist in dieser Angelegenheit eigentlich belanglos,
hä? Es ist mir zuwider, so unverblümt daherzureden, Oliver,
nur halte ich’s leider inzwischen für ziemlich
wahrscheinlich, daß das Schiff mitsamt Cassie gesunken
ist.«
Oliver zuckte
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