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Das Gottesmahl

Das Gottesmahl

Titel: Das Gottesmahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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Überstunden.«
    Der Herr, so hatte Neils Schlußfolgerung gelautet, wirkte
durch vielerlei, nicht nur durch brennende Dornbüsche und
versteinerte Bäume. YHWH entsandte Engel, schrieb Warnungen an
Wände, gab den Häuptern der Propheten Träume ein.
Vielleicht schickte er ab und zu sogar die Katholische Kirche vor.
Indem er Tullio di Lucas Weg auf diese Insel gelenkt hatte – das
war Neil mit einer Aufwallung der Freude klar geworden –,
gedachte der Gott der Vieruhrwache ihm höchstwahrscheinlich
mitzuteilen, daß er sein Leben weiterführen
sollte…
    »Steuerbord zehn.«
    »Steuerbord zehn«, wiederholte Neil.
    »Recht so.«
    »Recht so.«
    Mit einem Quietschen öffnete sich hinter Neil die Tür.
Ein stechender Geruch, dessen Quellen der holzigen Qualm eines
Zigarillos und menschlicher Schweiß waren, wehte zur
Brücke herein.
    »Wie ist der Kurs, Katsakos?« Eine tiefe, barsche
Männerstimme.
    Der Zweite Offizier nahm Haltung an. »Null-eins-vier,
Sir.«
    Neil wandte sich um. Dank der breiten Schulten, dem kerzengeraden
Rücken und des löwenmähnigen Kopfs, der unter der
Kapuze des grell-lila Parkas hervorschaute, wirkte der Schiffer der Maracaibo aristokratisch, ja sogar majestätisch. Obwohl
sein Gesicht das Alter nicht verleugnen konnte, sah er erstaunlich
gut aus: Unter einer hohen Stirn saßen dunkelbraune Augen,
zwischen ausgeprägten Wangenknochen hatte er eine Adlernase.
    »Geschwindigkeit?«
    »Fünfzehn Knoten, Sir«, antwortete Katsakos.
    »Erhöhen Sie auf siebzehn Knoten.«
    »Halten Sie das für unbedenklich, Kapitän van
Horne?«
    »Wenn ich auf der Brücke stehe, ist es
unbedenklich.«
    »Er hat Sie ›van Horne‹ genannt«, plapperte
Neil unwillkürlich, während Katsakos die Hebel
betätigte.
    »Selbstverständlich.« Der Schiffer der Maracaibo paffte am Zigarillo. »Mein Name ist Christoph van
Horne.«
    »Der Kapitän, bei dem ich zuletzt gefahren bin,
hieß auch van Horne, Anthony van Horne.«
    »Ich weiß«, gab der Alte zur Antwort. »Di
Luca hat mich informiert. Mein Sohn ist ein guter Seemann, aber ihm
fehlt… Wie soll ich’s nennen? Ihm fehlt’s eben ’n
bißchen an Grips.«
    »Anthony van Horne…?« überlegte der Zweite
Offizier laut. »War er nicht Kapitän der Valparaíso, als dem Tanker die Ladung in den Golf von
Mexiko geleckt ist?«
    »Soweit ich gehört habe, war’s hauptsächlich
die Schuld der Karpag«, sagte Neil. »Zu kleine,
überlastete Besatzung…«
    »Nehmen Sie ihn nicht in Schutz. Wissen Sie, was er jetzt
befördert? Eine elende Kintopp-Requisite. So was…« Der
Kapitän drückte den Zigarillo auf dem Zwölfmeilenradar
aus. »Sagen Sie, Mr. Weisinger, sind Sie eine Teerjacke, auf die
ich mich verlassen kann?«
    »Ich glaube, ja.«
    »Und sind Sie je in ’m Sturm am Steuer
gestanden?«
    »Erst am vierten Juli habe ich die Valparaíso mitten durch den Hurrikan Beatrice gesteuert.«
    »Mitten hindurch?«
    »Ihr Sohn wollte binnen zwölf Tagen von der
Raritan-Bucht in den Golf von Guinea gelangen.«
    »Was für eine Beklopptheit«, meinte der
Kapitän. Ein gewisser Vaterstolz minderte jedoch, hatte Neil das
Gefühl, seine Empörung. »Haben Sie’s innerhalb
dieser Zeitspanne geschafft?«
    »Wir haben unterwegs gestoppt, um eine Schiffbrüchige zu
bergen.«
    »Aber Sie hätten die Frist eingehalten?«
    »Da bin ich mir weitgehend sicher.«
    »In bloß zwölf Tagen?«
    »Jawohl, Sir.«
    Christoph van Horne lächelte, so daß sich das gesamte,
faltige Fleisch seines stattlichen Gesichts verzog. »Hören
Sie zu, Vollmatrose Weisinger, wenn wir die Valparaíso endlich einholen, sind Sie der Mann, den ich am Steuerrad haben
will.« Er senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Ich
müßte mich gewaltig irren, sollten wir nicht ’n paar
gewagte Manöver durchführen müssen.«
     
    Am 16. September, als die Valparaíso den 71.
Breitengrad überquerte, merkte Cassie Fowler – um 19 Uhr 15
–, daß sie sich verliebt hatte. Sie machte die Entdeckung
in einem Moment der Ruhe, während sie und Anthony am Schanzkleid
standen und zuschauten, wie sich der Bug des Tankers, vergleichbar
mit der Schneide einer Axt, durch die Fluten zwischen zwei kolossalen
Eisbergen schob. Hätte sie die Feststellung in der Hitze ihrer
sexuellen Betätigung getroffen (und dazu war in letzter Zeit
reichlich Gelegenheit gewesen, praktisch betrieben sie eine Orgie im
Zeitlupentempo, deren Ort sich fand, wo gerade die Lust sie befiel:
von Anthonys Kabine über die Vordeck-Stauräume bis hin zu
dem

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