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Das Gottesmahl

Das Gottesmahl

Titel: Das Gottesmahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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verzierten Pappbecher und
gesellte sich zu Cassie.
     
    »Ich glaube, der Militärdrama-Verein geht
bankrott«, sagte er. »Die Schlacht von Midway hat ihn
überfordert.«
    »So leicht stirbt die Vergangenheit nicht.«
    »Sicher nicht. Wahrscheinlich hast du recht. Du bist immer
eine tiefsinnigere Denkerin als ich gewesen.«
    Mangels eines Löffels rührte Oliver den
brühheißen Kaffee mit dem Daumen um, kostete den dadurch
verursachten Schmerz aus. »He, Cassandra, wir haben ja zusammen
Wahnsinnssachen erlebt, stimmt’s? Erinnerst du dich noch an
Denver?« In mancher Hinsicht war die dortige Aktion der
Philosophischen Liga für moderne Aufklärung e. V.
– ein besonders spektakulärer Protest gegen die
gigantomanische Sperrholz-Zehn-Gebote-Tafel, die die sogenannte
Gemeinde des Himmlischen Brüderordens vor dem
Landesregierungsgebäude auf dem Rasen errichtet gehabt hatte
– mit dem Höhepunkt ihrer Beziehung einhergegangen. Im Park
auf der anderen Straßenseite hatten er und Cassie ein gleich
großes Schild aufgebaut und unter der Überschrift WAS GOTT
WIRKLICH SAGTE der Öffentlichkeit einen Dekalog nouvelle präsentiert (zwischen wilden sexuellen Spielen, die der
Erprobung des neuen Kondoms Shostak-Supremat dienten, war er zwei
Tage vorher in ihrer Wohnung gemeinsam formuliert worden). »Ich
wette, wenn wir uns ’n bißchen anstrengen, fallen unsere
wahren Zehn Gebote uns noch alle ein. Eines hieß: ›Du
sollst dir kein Schnitzbild machen, außer du bist Katholik und
stehst auf so was.‹«
    »Ich möchte jetzt nicht über Denver plaudern«,
sagte Cassie.
    »›Du sollst nicht begehren deines Nächsten Knecht
oder Magd und nicht fragen, wieso er eigentlich Dienerschaft
hat.‹«
    »Oliver, ich liebe Anthony van Horne.«
    Mit einem Mal kehrte Olivers Unterkühlung wieder, kroch in
seinem Leib von Organ zu Organ, verwandelte sie ihn Gefrierfleisch.
»Scheiße.« Sie war doch Charlotte Corday, erstach,
ermordete ihn. »Van Horne? Um Himmels willen, van Horne ist
unser Gegner.« Er schloß die Lider, schluckte
schwer. »Hast du… mit ihm gevögelt?«
    »Ja.«
    »Mehr als einmal?«
    »Ja.«
    »Mit welcher Kondommarke?«
    »Darauf kann es nur falsche Antworten geben.«
    Oliver leckte am verbrühten Daumen. »Hat er dich
gebeten, ihn zu heiraten?«
    »Nein.«
    »Gut.«
    »Ich habe vor«, sagte Cassie, »ihn zu
fragen.«
    »Was findest du bloß an so einem Mann?! Er ist kein
Rationalist, keiner von uns.«
    Mit einer Gebärde, die Oliver gleichzeitig als höchst
angenehm und grausam gönnerhaft empfand, streichelte Cassie ihm
den Unterarm. »Es tut mir leid. Es tut mir ehrlich, ehrlich
leid…«
    »Weißt du, was ich glaube? Ich bin der Ansicht, dich
hat bloß das Mystische des Meeres verführt. Also hör
mal, wenn du dir so ein Leben wünschst, na gut, schön, von
mir aus, dann kaufe ich dir ein Schiff. Möchtest du eine
Schaluppe, Cassandra? Einen Kabinenkreuzer? Wir fahren nach Tahiti,
legen uns an den Strand, malen Bilder von den Eingeborenen,
treiben’s genau wie Gauguin.«
    »Oliver, es ist aus mit uns.«
    »Ach wo.«
    »Doch.«
    Im Laufe der folgenden Minute sprach keiner von beiden ein Wort;
nur das gelegentliche mechanische Gebrumm eines Automaten störte
das Schweigen. Oliver konzentrierte sich auf Drogerieartikel,
verspürte Bedarf an verschiedenerlei Teilen des Inhalts: dem
Aspirin zur Linderung des Kopfwehs, dem Alka-Selt-zer zur Beruhigung
seines Magens, den Wilkinson-Rasierklingen zum Aufschneiden der
Handgelenke, den Shostak-Supersensitiv-Kondomen zur Befriedigung
seines rasend heftigen Wunschs, ein letztes Mal mit Cassie zu
vögeln.
    »›Du sollst nicht töten‹«, sagte er.
»Weißt du eigentlich noch, was wir aus ›Du sollst
nicht töten‹ gemacht haben?«
    »Nein.«
    »Ich auch nicht.«
    »Oliver…«
    »Es fällt mir einfach nicht ein.« Tiefes
Stahlgewummer dröhnte in der Luft. Die Hubschrauber aus Island,
schlußfolgerte Oliver, flogen die Helikopterdecks der Maracaibo an. »Kannst du dich bestimmt nicht entsinnen?«
    »Ich glaube, ich… ich… Mir ist nicht ganz klar, was
ich sagen soll. Blasphemie törnt mich nicht mehr so an wie
früher.«
    »Flieg mit mir nach Reykjavik, ja? Heute abend nimmst du
’ne Maschine nach Halifax und morgen früh ’n
Anschlußflug nach New York. Mit etwas Glück stehst du am
Mittwoch wieder im Unterricht.«
    »Du greifst nach Strohhalmen, Oliver.«
    »Komm mit.«
    »Ich kann nicht.«
    »Du kannst.«
    »Nein.«
    Oliver schnippte mit den Fingern. »›Du

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