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Das Gottesmahl

Das Gottesmahl

Titel: Das Gottesmahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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geschehen.«
– »Für unsere Frauen ist Schönheit und Anmut ein
Fluch.« – »Das Volk ist von Durst geplagt worden! Es
ist von Fröschen geplagt worden, von Mücken, von Fliegen,
von Blattern, von Beulen! Was sollen sie jetzt noch ertragen?«
Die Valparaíso war mit nur einem Film im Schrank zum
Hafen ausgelaufen, aber zumindest war es ein guter Streifen. Neil
hatte ihn sich schon viermal angeguckt.
    Sich zu säubern, beanspruchte zwanzig Minuten. Nicht einmal
Ohrstöpsel, Schutzbrille, Mundschutz, Mütze und Overall
hatten ihn vor dem Rost bewahrt, er haftete wie rote Schuppen in
seinem Haar, bedeckte seine Brust wie ein metallisches Ekzem. Doch
selbst wenn es nicht soviel Mühe kostete, bereitete das Duschen
Neil kaum jemals Spaß. »Deine Großtante
Esther«, hatte sein Vater ihm erzählt, während er noch
in einem Alter war, in dem man leicht beeindruckt werden konnte,
»ist in der Dusche gestorben.«
    Auf Deck 5 war er noch nie gewesen. Vollmatrosen des 20.
Jahrhunderts wurden ungefähr so häufig in die
Offiziersmesse eines Schiffs gebeten, wie man im 14. Jahrhundert
Juden in die Alhambra eingeladen haben mochte. Eine Mahagonibar,
Kristalleuchter, Teakholztäfelung, silberne Kaffeedosen,
orientalische Teppiche. Das also war das schäbige kleine
Geheimnis der Schiffsführung: Man brachte die Wache gemeinsam
mit dem Pöbel herum, spiegelte vor, auch nur gewöhnlicher
Janmaat zu sein, aber danach zog man sich zum Cocktail ins
Waldorf-Astoria zurück. Soweit Neil sah, waren alle anwesend,
die sich an Bord befanden (Offiziere, Besatzung, der Priester, auch
die Schiffbrüchige, Cassie Fowler, die inzwischen weit erholter
als an dem Tag aussah, an dem man sie von St. Paul’s Rocks
geborgen hatte), mit der Ausnahme Lou Chickerings, der wahrscheinlich
im Maschinenleitstand saß, und des langen Joe Spicer, der
zweifellos auf der Brücke dafür sorgte, daß sie nicht
auf die Insel fuhren. In seiner blauen Gala-Kapitänsuniform
stand van Horne hochaufgerichtet an den zierlichen Pingpong-Tisch
gelehnt und patschte nervös ein Paddel gegen seinen
Oberschenkel, während er zu den versammelten Seeleuten
sprach.
    »…gab noch nie einen solchen Leichnam zu sehen«,
erklärte der Kapitän. »Keine so große und keine
so wichtige Leiche.«
    Dolores Haycox, die Dritte Offizierin, stieß einen Pfiff der
Verblüffung aus. »Einen Leichnam, Sir? Es ist ’ne
Leiche, sagen Sie?«
    »Genau. So, und was für eine Leiche? Was glauben
Sie?«
    »Ein Wal?« spekulierte Charlie Horrocks, der
zwergenhafte Pumpenmann.
    »Dermaßen riesig kann doch gar kein Wal sein,
oder?« hielt van Horne ihm entgegen.
    »Eigentlich nicht«, räumte Horrocks ein.
    »Ein Dinosaurier?« meinte Maschinistin Isabel Bostwick,
eine großgewachsene, amazonenhafte Frau mit vorstehenden
Zähnen und einer durch eine Säge verursachten Narbe.
    »Sie denken alle im falschen Maßstab.«
    »Ein Alien aus dem Weltall?« mutmaßte Eddie
Wheatstone, der Bootsmann, ein leutseliger Säufer mit derartig
durch Akne entstelltem Gesicht, daß es einer zerlöcherten
Zielscheibe glich.
    »Nein, ein Alien aus dem Weltall ist auch knapp daneben…
Aber unser Freund Pater Thomas hat für uns eine
Theorie.«
    Gemächlichen Schritts, mit beträchtlicher Würde,
beschrieb der Priester einen weiten Kreis, umrundete die
Bordversammlung wie ein Schäferhund die Herde. »Wer von
Ihnen«, fragte er, »glaubt an Gott?«
    Gemurmel der Überraschung erfüllte die Offiziersmesse,
hallte vom Teakholz wider. Leo Zooks Hand schoß nach oben.
Cassie Fowler brach in Gekicher aus.
    »Kommt drauf an«, sagte Lianne Bliss, »was Sie mit
Gott meinen.«
    »Analysieren Sie nicht, antworten Sie nur.«
    Eines nach dem anderen hoben die meisten Besatzungsmitglieder die
Hand – Finger zuckten, Arme schwankten –, bis die
Offiziersmesse einem Anemonengarten ähnelte. Auch Neil streckte
die Flosse hoch. Und wieso nicht? Hatte nicht auch er sein
strahlendes Höchstes Wesen, seinen Gott der Vieruhrwache? Er
zählte lediglich ein Halbdutzend Atheisten: Fowler, Wheatstone,
Bostwick, einen korpulenten Jantje namens Stubby Barnes, eine
dunkelhäutige italienische Putzkraft mit Namen Carlo Rossi sowie
Ralph Mungo, den alten Knaben mit der Ich-liebe-Brenda- Tätowierung,der Neil schon im Wartesaal
des Heuerbüros aufgefallen war; und von ihnen wirkte nur Fowler,
als wäre sie ihrer Sache wirklich sicher, sie ging sogar so
weit, beide Hände in die Taschen der Khaki-Shorts zu
stecken.
    »Ich glaube an Gott den

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