Das Gottschalk-Komplott
daß ich meine Gossenmanieren über Nacht ablege.’) Vor vier Jahren, als Dan Kazer sie hinauf ins Atelierwohnung-Niveau katapultierte, waren diese Allüren ein Trumpf gewesen. Dadurch gerieten haufenweise Dinge zu Schrott und Trümmern, aber was sollte das schon? Ständig gab es immer mehr Dinge. Außerdem tüftelte irgend so ein Haarspalter in Omaha an einer Doktorarbeit über die Bedeutung von Körperflüssigkeiten in den Spätwerken Michaela Baxendales. Es wäre ungerecht gewesen, ihm den Saft abzudrehen.
Danach bereicherte sie den Brief um: ein Johannesburger Telefonbuch aus dem Jahre 1979, eine prä-pseudorganische Ausgabe von Sinuhe der Ägypter, einen Krafft-Ebing mit den original lateinischen Passagen; und gab sich damit zufrieden. Sie pappte etliche Auszüge dieser Werke hintereinander, und gegen Abend zeigte das Meßinstrument an der Wand wieder ins wohltuendere Grün.
Wiederherstellung des normalen Dienstbetriebs unwahrscheinlich
Priors Abbild stellte sich wieder ein, und er machte ein böses Gesicht. „Jetzt reicht’s aber!“ schimpfte er. „Haben wir nicht genug Ärger, ohne daß uns das KommNetz hier im Etchmark in irgendeinen Durchdreher-Orbit abschwirrt?!“
„Wenn du ohne Störung mit mir reden willst“, erwiderte Flamen matt, „mußt du deinen Hintern schon herüberschleppen. Schließlich sitzt du ja nur auf der anderen Seite der Wand!“ Aber diese Empfehlung traf wohl schwerlich auf viel Gegenliebe. Priors Persönlichkeit unterschied sich vollkommen von seiner, wies starke neopuritanische Züge auf, und sein Engagement für die Aufgabe, dem Programm eine Medienkiebiz-Sendung zu gewährleisten, wurzelte weniger in einer abstrakten Abneigung gegen die Heuchelei – wogegen Flamen genau darin gerne sein eigenes Motiv sah –, sondern vielmehr im Wunsch, seine Maskerade anständigen bürgerlichen Verhaltens aufzupolieren, die unzugängliche Krypta, in der die eigene Verderbtheit in der Ruhe der Untotheit begraben lag. Aufgrund dessen bewahrte er Distanz, verkehrte nur mit ausgesuchten Leuten und ausschließlich übers KommNetz, empfand er jeden persönlichen Kontakt als ein Vertun der Möglichkeiten, die sein finanzieller Erfolg ihm bot. Dadurch übte er die Funktion eines Puffers bei Verhandlungen zwischen der Fa. Matthew Flamen und dem Aufsichtsrat der Holokosmos aus, aber bisweilen machte er sich damit lächerlich.
Wie zum Beispiel jetzt.
„Matthew“, begann Prior gereizt, ganz wie erwartet, „man rechnet doch nicht damit, daß …“
Urplötzlich verlor Flamen die Geduld. „Ganz im Gegenteil, man muß damit rechnen! Es sei denn, man unternimmt etwas, um derartige Schwierigkeiten zu beheben. Wie viele Unterbrechungen hatten wir in der heutigen Sendung – fünf, nicht wahr?“
„Äh …“ Prior schluckte. „Ja, leider. Und die längste hat fast fünfzig Sekunden gedauert.“
„Und angesichts solcher Vorkommnisse hältst du’s für verwunderlich, daß es Störungen im KommNetz gibt? Hör auf, Lionel, so naiv bist du nicht. Oder … Na, wenn ich’s genauer betrachte, vielleicht doch, sieht man die Art und Weise, wie du dich erniedrigst, indem du vor diesem Plastikstehaufmännchen von einem Heinzelmann herumbuckelst!“
„Matthew, die persönliche Entscheidung eines Menschen für eine Religion ist …“
„Wann hast du dich zuletzt der Mühe unterzogen, mal deine Computer zu befragen? Es steht über siebzig Punkte dafür, daß die Heinzelmännchen AG eine Fassade für den Knieblank-Saftladen Conjuh Man ist. Denen reichen die Umsätze in den schwarzen Enklaven anscheinend nicht, also haben sie beschlossen, zu expandieren und zusätzlich soviel dümmliche Weiße zu melken, wie sich nur finden lassen. Wenn ich anhand deiner Person ein Urteil abzugeben hätte, würde ich sagen, sie werden damit so phantastisch einschlagen, daß sie kaum hinter den Gottschalks zurückbleiben.“
Priors Augen quollen hervor. Rücksichtslos nutzte Flamen die gewohnheitsmäßige Abneigung aus, die Prior dagegen hegte, Gefühle zu zeigen, selbst vor jemandem, mit dem er bereits jahrelang zusammenarbeitete. Geschickt ließ er nach seinen Worten ein Schweigen sich dehnen, es blitzartig zu brechen bereit; er tat es erst im allerletztmöglichen Augenblick und widmete sich wieder ihrem wichtigen Gesprächsstoff.
„Warum hast du mich überhaupt angerufen? Ist dir irgendein brillanter Einfall für die morgige Sendung gekommen, mit dem wir das Interesse von Millionen Zuschauern wiedererwecken
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