Das Gottschalk-Komplott
und lehnte sich im Sessel zurück. „Anscheinend hast du den ganzen heutigen Tag mit Gejammer herumgebracht, und vermutlich ist’s zuviel von dir erwartet, daß du damit aufhörst, bevor dein manisch-depressiver Zyklus seine gegenwärtige Phase verläßt. Also, was soll ich tun – mit inoffizieller Therapie aushelfen?“
Ein Schweigen bitterer Gespanntheit entstand. „Ich weiß ein interessantes psychologisches Problem für dich“, sagte Reedeth schließlich in völlig verändertem Tonfall. „Oder vielleicht, um präziser zu sein, laß mich sagen, es ist soziologischer Art. Wann kamen Freunde außer Mode?“
„Na, wenn du nur Unsinn daherreden möchtest …“
„Unsinn, verdammt noch mal! Wie viele Freunde hast du denn, Ariadne? Ich meine Freunde, von denen du weißt, du fällst ihnen nicht lästig, wenn du mal über deine Probleme sprichst, die dir mit einem Rat helfen können, oder indem sie dir Geld leihen, oder sonst irgendwie.“
„Ich habe diese Sorte Komplikationen nicht.“ Ariadne hob die Schultern. „Ich glaube an die Existenz als Individuum und die Fähigkeit, sich um sich selbst zu kümmern. Ich bezweifle, daß ich andernfalls die Überheblichkeit besäße, zu versuchen, anderen Menschen dabei zu helfen, in ihrem eigenen Leben den gleichen Erfolg zu erzielen. Aber ich habe viele Freunde, so viele, daß ich sie gar nicht aufzählen kann – so viele, daß es mir nie gelungen ist, sie alle auf einer Party zu versammeln.“
„Das sind keine Freunde“, widersprach Reedeth hartnäckig. „Du redest von Bekannten, und das gleiche fällt mir auch nicht schwer – ich kenne fünf- oder sechshundert Leute, und immerhin gut genug, daß ich die richtigen floskelhaften Fragen nach ihrer Familie und der Arbeit stellen kann. Aber … Zum Teufel, ich will versuchen, dir zu verdeutlichen, was ich meine. Dies Mädchen, Lyla Clay, die ich nach einem schier unfaßlichen Ringen mit dem Amtsschimmel endlich dochnoch entlassen konnte …“
Eine Andeutung von Interesse widerspiegelte sich in Ariadnes Miene. „Ach, du hast den Fall geklärt?“
„Mehr oder weniger. Ich erzähle dir nachher mehr. Laß mich erst beenden, was ich sagen wollte. Ihr Mackero ist gestern abend umgekommen – ermordet worden. Er hat nicht mehr lange genug gelebt, um noch mitteilen zu können, wieso es eigentlich dazu kam. Sein Tod war vollständig sinnlos. Aber so war’s nun mal – er fand den Tod, sie erlitt einen Schock. Zum Glück geht sie gewöhnlich zu einem Arzt – ich kenne ihn –, dessen Honorare einigermaßen erträglich sind und der sich auch mit seinen weniger begüterten Patienten ernsthaft befaßt, und so … Verflucht, ich schweife ja selber ab.“
Er nahm einen tiefen Atemzug. „Warum sagt man eigentlich ‚Amtsschimmel’?“ sinnierte unterdessen Ariadne. „Haben die Ämter ganz früher mal ausschließlich weiße Pferde benutzt, vielleicht für besondere Kurierdienste? Schimmelreiter ist doch auch so ein überkommener Begriff.“
„Du lieber Himmel, Frau, frag deinen Pultomat! Ich weiß es nicht, und es ist mir auch egal. Was ich zu erklären versuche, ist wichtig!“
„Dann bemühe dich“, entgegnete sie barsch, „ein bißchen schneller zur Sache zu kommen. Ich bin ausgelaugt.“
„Denkst du, ich nicht?! Also, dann gib mir hierauf eine unumwundene Antwort: Welche von den mehreren hundert Personen, die du kennst, bedeuten dir genug, so daß du bei ihrem Verlust einen Schock erleiden würdest?“
Eine längere Gesprächspause folgte. „Nun, meine Eltern, völlig klar“, sagte Ariadne zu guter Letzt mit gestreßter Miene, „mein Bruder Wilfred, und …“
„Freunde, habe ich gesagt, nicht Verwandte. Also Menschen, deren Umgang du aus dem Angebot all der vielen Millionen Menschen speziell für dich gewählt hast, seit du erwachsen bist und eigenverantwortlich in der Welt dastehst.“
„Ich …“ Ariadne schüttelte ihren blonden Schopf; ihr Gesicht brachte den inneren Konflikt zwischen Beschämung und Aufrichtigkeit offen zum Ausdruck. „Ich weiß nicht, ob’s solche Leute in meinem Leben gibt. Weißt du, ich glaube, darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht.“
„Und weshalb nicht?“
Ariadne gewann einen Teil ihres Selbstbewußtseins zurück. „Hat dein Freund Conroy“, erkundigte sie sich patzig, „darüber noch keine Ansichten vom Stapel gelassen?“
„Du meinst seine Behauptung, daß die Gesamtsumme des emotionalen Engagements eines modernen Individuums so ausgeprägt ist
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