Das Grab der Legionen
fünfundvierzig Männer marschierten, keine sechzig, wie es sein sollte. Fünf lagen arg verletzt auf den Troßwagen der Legion. Vor Nertobriga, Centobriga und Contrebia waren die anderen geblieben. Ihre Seelen weilten jetzt bei den Göttern.
„Nichts, Centurio!” meldete ein Decurio und störte die Gedanken des Befehlshabers.
Trotz der schlechten Wegverhältnisse stapften die Legionäre einigermaßen geordnet in Kolonnen dahin. Jahrelang Geübtes verlor sich nicht so leicht. Der Offizier blieb am Rande, deutlich von den anderen geschieden.
Zur Rechten stiegen die Hänge auf, je höher, desto kahler. Nur hier und da hatten sich Sträucher ansiedeln können. Wenn sie groß genug waren, um einen feindlichen Späher zu bergen, kletterten Legionäre hinauf und untersuchten das mögliche Versteck - stets vergeblich.
Zur Linken strömte ihnen der Durius entgegen - Duro nannten ihn die ungebildeten Barbaren —, sommers schmal geworden. Nicht zum ersten Mal zogen die Legionen an seinen Ufern entlang. Im Grunde taten sie es Jahr für Jahr, mal weiter, mal nicht so tief ins arevakische Land hinein. Stets folgte der Weg dem Fluß, denn das große Heer brauchte beträchtliche Mengen Wasser. Altgediente Soldaten kannten jeden Hügel und jeden Baum.
Nun, er selbst würde nur kurze Zeit im Feld bleiben. Schon im letzten Brief hatte der Vater angedeutet...
Der Centurio schreckte aus dem Tagtraum auf. Wieder öffnete ein Quertal die steilen Hänge. Den dichten Büschen nach zu urteilen, war dieses Gewässer nicht wie viele andere versiegt.
„Zweite Gruppe, vorwärts!" befahl Titus Flaccus halblaut und rückte den Brustpanzer zurecht. Das Vordringen ins Unterholz barg mannigfache Gefahren. Sträucher und Bäume bildeten eine Wildnis, in der sich ohne weiteres zahlreiche Feinde verstecken konnten.
In langer Reihe rannten sieben Legionäre nach rechts. Am Hang entlang würden sie sich bis zum Bachbett vorarbeiten. Das war nicht leicht, zumal sie ihre Waffen bereithalten mußten.
„Vierte Gruppe gibt Rückendeckung!"
Ein Decurio und acht Legionäre folgten dem Befehl. Er bedurfte keiner Erläuterungen und gehörte zu den Alltäglichkeiten im iberischen Krieg. Die Soldaten spannten die Bogen und legten Pfeile auf. Zeigte sich auch nur ein Arevake, war es um ihn geschehen.
„Centurio, dort oben!"
Der Anführer hob den Kopf. Oben auf dem Hang hielten drei Reiter. Kleidung und Waffen bewiesen - Römer. Sie winkten die vereinbarten Zeichen. Der Weg war also frei.
Aus dem Wäldchen klangen die Pfiffe der Späher. Alles in bester Ordnung, bedeuteten sie. Erleichtert gab der Offizier seine Befehle, und die Centuria setzte sich in Bewegung. Bis auf jene, die mit schußbereiten Bogen wachten, tauchten die Legionäre in das Halbdunkel des Wäldchens ein, wo das Frühjahrshochwasser Treibholz angespült hatte und Unkraut wucherte.
Endlich war am Bach der vereinbarte Nachtlagerplatz erreicht. Melder benachrichtigten die Reiter auf der Hochfläche, diese wiederum würden die Legionen informieren. Zwei Stunden flußabwärts befand sich das Heer und beendete um diese Zeit ebenfalls seinen Tagesmarsch.
„Heute hat die zweite Gruppe Dienst, nicht wahr? Teilt die Wachen selbst ein. Achtet darauf, daß niemand das Lager verläßt. Die Feinde sind vielleicht nahe. - Alles klar?"
„Jawohl, Centurio." Undenkbar, daß in den Legionen Weisungen nicht befolgt würden. Außerdem kannten die Unteroffiziere das Land und den Listenreichtum der Arevaken.
Man zündete ein kleines gedecktes Feuer an. Unterwegs hatten zwei Legionäre einige Kaninchen erlegt, deren Fleisch mit dem hartgewordenen Brot eine karge Mahlzeit bildete. Wasser spendete der Bach.
Titus Flaccus aß lustlos. Ihm schmeckte das frugale Mahl überhaupt nicht. Sehnsüchtig erinnerte er sich der ausgewählten Speisen des väterlichen Hauses. Bald legte er sich unter einem Busch zur Ruhe. Hart war sein Bett und der Mantel als Decke viel zu dünn.
Freilich, zu Hause hatte sich manches anders dargestellt. Im Feld Ruhm erringen und dann eine hohe Senatsposition erwerben. Das hatte ihm der Vater nahegelegt. Recht gesprochen, doch die Mühsal des Kriegerlebens war größer als erwartet. Ungern gestand sich Titus das ein.
Immerhin - seine Altersgenossen hätten die Legionen längst verlassen. Er kannte sie gut genug von den Besuchen der Adligen untereinander. Wie verweichlicht und feige waren sie! Was ihnen an Mut und Körperkraft abging, ersetzten sie durch Ränke und Verleumdung.
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