Das Grab des Herkules
Yuen anbiedernd. »Man glaubt gar nicht, wie förderlich der alte britische Adel bei Geschäftsverhandlungen sein kann. Das ist übrigens der Hauptgrund, weshalb ich sie geheiratet habe!« Sein Lachen ließ durchblicken, dass die Bemerkung durchaus nicht nur scherzhaft gemeint war.
»Das sind die Vorzüge der humanistischen Bildung«, sagte Sophia zu Nina. Entweder das ungehobelte Auftreten ihres Mannes machte ihr nichts aus, oder sie verstand es, ihre Gefühle zu verbergen. »Allerdings bin ich eher auf Latein spezialisiert als aufs Griechische. Aber Sie wollten über das Grab des Herkules sprechen.«
»Ja, richtig.« Nina kippte den Rest des Champagners hinunter, dann winkte sie mit dem Glas einem Ober. Er eilte herbei und schenkte ihr nach. »Wie Sophia schon sagte, lassen sich zahlreichen Gestalten der griechischen Mythologie Gräber zuordnen. Bei Herkules – oder Herakles, wie der ursprüngliche griechische Name lautet – verwundert eher, dass er kein Grab hat. Beziehungsweise«, setzte sie theatralisch hinzu, »dass es noch nicht gefunden wurde.«
»Und Sie glauben, Sie hätten es entdeckt?«, fragte Yuen mit Nachdruck; seine arrogante Frotzelattitüde hatte er auf einmal abgelegt.
»Also … ich würde die Frage wirklich gern bejahen, aber das kann ich leider nicht«, entgegnete Nina mit falscher Bescheidenheit. »Noch nicht. Ich setze seit Monaten einzelne Mosaiksteinchen zusammen, konnte den genauen Ort jedoch noch nicht bestimmen. Aber das wird sich hoffentlich bald ändern!«
»Und woher stammen die Hinweise?«
Obwohl der Champagner seine Wirkung tat, rief Nina sich in Erinnerung, dass hier Diskretion angebracht war. »Es gibt Hinweise in alten griechischen Pergamenten aus den Archiven … eines Privatsammlers.« Dass zu den Pergamenten auch die Schrift Hermokrates gehörte, der verschollen geglaubte Text des griechischen Philosophen Plato, der sich mit Atlantis befasste, und dass es sich bei dem Privatsammler um eine Geheimgesellschaft handelte, die bereit war zu töten, um die Wiederentdeckung jener untergegangenen Zivilisation zu verhindern, behielt sie für sich. »Die IBAK hat voriges Jahr eine Vereinbarung getroffen, die es ihr erlaubt, die Sammlung in Augenschein zu nehmen. Übrigens treffe ich mich morgen mit jemandem, der mir Zugang zu den Originaldokumenten gewähren wird.«
Yuens Interesse war geweckt. »Glauben Sie, Sie können den Originalen mehr entnehmen als den Fotos?«
Nina trank einen Schluck, bevor sie antwortete. »Ja, sicher! Darum geht es doch bei der Archäologie – Dinge leibhaftig vor sich zu sehen, anstatt nur Fotos zu betrachten. Eine Fundstätte zu besuchen oder mit einem Objekt zu arbeiten, das man in Händen halten kann, macht einen großen Unterschied. Dann sieht man die Dinge in einem ganz neuen Licht.«
Yuen nickte nachdenklich, und Corvus sagte: »Aber in Ihrer Funktion als Einsatzleiterin haben Sie doch sicherlich kaum noch Gelegenheit, vor Ort zu arbeiten?«
»Das stimmt leider«, meinte Nina und schüttelte den Kopf. »Im Moment verbringe ich die meiste Zeit am Schreibtisch oder in Sitzungen.« Zumal jetzt, da die Plattform, von der aus man Atlantis erkundet hatte, bei einem Sturm gesunken war, wollte sie hinzufügen; jetzt, wo die meisten Vor-Ort-Projekte der IBAK ruhten, da man die Ergebnisse der laufenden Untersuchung abwarten wollte – sie unterließ es jedoch und sagte stattdessen lächelnd: »Andererseits hat der Job auch seine Vorteile. Wie zum Beispiel das hier!« Sie schwenkte den Arm, als wollte sie das ganze extravagante Schiff umfassen. »Danke für die Einladung.«
»Ich finde, es ist an der Zeit, das Profil der IBAK ein wenig zu heben«, sagte Corvus lächelnd.
Auch Yuen lächelte, allerdings etwas zurückhaltender. »Nun, dann wünsche ich Ihnen viel Glück bei der Grabsuche!« Er blickte sich zu einer anderen Gruppe von Gästen um. »Ich muss dann mal weiter. René, danke für die Einladung, und Vic, vergessen Sie nicht, mich ins Weiße Haus einzuladen! Komm, Soph.«
»Hat mich gefreut«, sagte Sophia zu Nina, dann fasste Yuen sie bei der Hand und zog sie mit sich mit.
»Arschloch«, brummte Dalton, als die beiden weg waren. »Ist mir schnuppe, wie viele Milliarden er besitzt, ein Dummkopf bleibt ein Dummkopf. Aber verdammt noch mal, bei seiner Frau hat er ein gutes Händchen bewiesen!«
»Er kann sich glücklich schätzen, dass er eine so perfekte Person gefunden hat«, pflichtete Corvus ihm bei und wandte sich an Nina. »Und
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