Das Grab des Herkules
›Assistent des Direktors der Einsatzplanung‹, aber in Wirklichkeit soll ich mich um Nina kümmern, wenn sie auf dem Gelände arbeitet. Da sie aber seit über einem Jahr nicht mehr dort war, hab ich den ganzen Tag lang einen Scheiß zu tun.« Er hatte seinem Frust Luft gemacht, obwohl er das gar nicht vorgehabt hatte.
»Dann ist Nina also dein Boss? Das macht die Sache interessant.«
Chase bedachte ihn mit einem finsteren, humorlosen Blick. »Du hast ja keine Ahnung.«
Trulli wirkte leicht verlegen. »Stimmt … Wo ist sie eigentlich? Ich würd ’ ihr gern Hallo sagen.«
»Wo wir gerade vom Teufel sprechen«, sagte Chase, als sich ihnen klackernde Absätze näherten. Er wandte sich um und sah die wutschäumende Nina auf sich zueilen. Ihr Kleid flatterte im Wind.
»Ich habe überall nach dir gesucht!«, fauchte sie, dann erst bemerkte sie Trulli. »Matt! Du meine Güte, wie geht es dir? Was machst du hier?«
»Ich hab Eddie gerade erzählt, dass ich für René Corvus arbeite«, antwortete Trulli. »Ich baue immer noch Tauchboote. Wie ich höre, bist du jetzt ein hohes Tier bei der IBAK. Meinen Glückwunsch!«
»Danke. Hör mal, Matt, es tut mir leid, wenn ich euch störe, aber ich muss mit Eddie reden. Unter vier Augen.«
Trulli musterte Eddie besorgt, dann leerte er sein Glas. »Schon klar … Ich wollte mir sowieso gerade Nachschub holen. Vielleicht sehn wir uns ja später noch?«
»Vielleicht«, sagte Chase. Trulli tätschelte ihm den Arm, gab Nina einen Wangenkuss und zog sich zurück.
Chase sah ihm nach, dann bemerkte er, dass Nina ihn zornig anfunkelte. Er deutete auf ihr Glas. »Du bist mittlerweile also zu Rotwein übergegangen? Ist das dein sechstes oder schon dein siebtes Glas heute Abend?«
»Versuch nicht auszuweichen.«
»Du hast mir noch nicht gesagt, worum es eigentlich geht.«
»Du weißt ganz genau , worum es geht.« Sie kam näher. »Noch nie im Leben habe ich mich so gedemütigt gefühlt! Es ist mir egal, welche Probleme du mit Sophia hast, aber du hättest dich wenigstens beherrschen können. Es gibt Zehnjährige , die reifer sind als du! Herrgott, René und Sophias Mann sind Direktoren der IBAK!«
»Aufsichtsratsmitglieder«, verbesserte Chase sie sarkastisch.
Nina kniff zornig die Lippen zusammen. »Ist dir klar, wie ich jetzt vor all den Leuten dastehe?«
»Aha, jetzt kommen wir also allmählich zum Punkt«, meinte Chase und lehnte sich an die Reling. »Das war’s doch, was dich am meisten geärgert hat, stimmt’s? Du süffelst Champagner mit Milliardären, Möchtegernpräsidenten und Ihrer Ladyschaft, und dann fällt dir auf einmal ein – oh, Mist! Mein Freund ist ja nur ein dummer Exsoldat, wie peinlich! Da weise ich ihn besser mal vor allen in die Schranken, sonst glauben sie noch, ich stünde ihm näher als denen!«
»Das – das stimmt nicht, und das weißt du auch!«, rief Nina wutentbrannt und trat einen Schritt näher an Chase heran. »Was ist eigentlich mit dieser Sophia? Woher kennst du sie?«
»Das geht dich nichts an.«
»Also, so wie du dich verhalten hast, geht es mich sehr wohl etwas an!«
Chase straffte sich. Sein Gesicht war nur Zentimeter von Ninas entfernt. Ihrer hohen Absätze wegen waren sie beinahe gleich groß. »Na schön, du willst also wissen, welches Problem ich mit Sophia habe? Sie glaubt, nur deshalb, weil sie in der richtigen Familie zur Welt gekommen ist, stünden alle anderen unter ihr. Aber weißt du was?« Er grinste höhnisch. »Bei ihr hat mir das nicht so viel ausgemacht, denn so war sie schon immer, und sie weiß es nicht besser. Aber bei dir ? Du hast seit ein paar Monaten einen netten Job und verdienst auch etwas mehr Geld. Na gut, und du plauderst jetzt mit Politikern und all den reichen Säcken – dass dir das gefällt, ist eine Sache. Aber dann fällt dir auf einmal ein, dass du was Besseres bist und mich behandeln darfst wie ein Stück Dreck! Das ist die andere. Und die passt mir ganz und gar nicht.«
Nina lief rot an im Gesicht und bleckte zitternd die Zähne. Und dann …
Platsch!
»Du bist ein Idiot, Eddie!«, fauchte sie, machte auf dem Absatz kehrt und stolzierte davon. Rotwein tropfte Chase auf Hemd und Sakko. Er atmete tief durch, dann wischte er sich die Augen aus. Die wenigen anderen Personen an Deck sahen rasch weg.
»Was ist?«, sagte er und zeigte mit einem breiten Grinsen die Lücke zwischen seinen Schneidezähnen vor. »Eine richtige Party wird es doch erst, wenn jemand einen Drink ins Gesicht
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