Das Grab des Herkules
diesen Zugang herstellen – dass die Plattform anschließend versenkt wurde, diente allein dazu, alle Spuren der Aktion zu beseitigen.«
»Und dann haben Sie Yuen die Schuld in die Schuhe geschoben«, fasste Chase zusammen. »Und mich wollen Sie als seinen Mörder hinstellen.«
»Er hatte seinen Zweck erfüllt«, bemerkte Sophia so beiläufig, als hätte sie eine Fliege getötet. »Jetzt gehören alle seine Firmen mir.«
»Uns«, sagte Corvus lächelnd.
Nina runzelte die Stirn. »Wie das?«
Sophia hielt die Linke hoch. Zunächst glaubte Nina, sie wolle ihr den Vogel zeigen – dann bemerkte sie, dass Sophia den Ringfinger hochreckte.
An dem ein neuer und sehr großer Diamantring steckte.
»Scheiße, du hast ihn geheiratet ?«, stammelte Chase.
»Vor etwa einer Stunde«, antwortete Sophia. »Eine kleine standesamtliche Zeremonie, nichts Aufwändiges.«
Corvus legte Sophia den Arm um die Taille. »Eine perfekte Verbindung, die Verschmelzung persönlicher und geschäftlicher Interessen. Yuens Firmen werden in das Corvus-Imperium eingegliedert. Und Sophia« – er strahlte sie an – »ist endlich mein. Auf diesen Tag habe ich schon lange gewartet. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie schwer es für mich war, sie mit einem anderen Mann verheiratet zu wissen – und dass es nicht anders ging, tröstete mich auch nicht.« Er hielt inne. »Na ja, vielleicht können Sie es ja doch nachempfinden, Mr. Chase.«
» Au contraire , Kumpel«, knurrte Chase und verschränkte die Arme vor der Brust. »Was mich betrifft, können Sie sie liebend gern haben. Aber ich möchte Ihnen einen Rat mit auf den Weg geben.«
»Ich höre.«
»Lassen Sie sie nicht aus den Augen. Sophia hat die Angewohnheit, ihre Ehemänner zu bescheißen.«
Corvus rümpfte tadelnd die Nase, während Sophia die Arme um ihn schlang. »Bitterkeit passt nicht zu dir, Eddie«, sagte sie und wandte sich an Nina. »Und da kommst du ins Spiel, meine Liebe. Eine Hochzeit ohne Flitterwochen ist keine richtige Hochzeit. Aber wir wissen einfach nicht, wohin wir reisen sollen. Ich möchte, dass du uns bei der Auswahl des Reiseziels hilfst.« Ihr Tonfall wurde schärfer. »Es sollte sich allerdings um einen geschichtsträchtigen Ort handeln, finden wir …«
Nina richtete die alten Pergamente anhand der bräunlichen Verfärbungen sorgfältig aus, dann lehnte sie sich zurück und ließ das Gesamtbild auf sich wirken. Zum ersten Mal seit über zweieinhalbtausend Jahren war die auf den Seiten von Platos Hermokrates -Dialog abgebildete Landkarte vollständig.
Sie warf Chase einen nervösen Blick zu. Der Engländer saß in einem Sessel in einer Ecke der Bibliothek; rechts und links von ihm hatten Komosa und der andere Bewacher Aufstellung genommen. Man hatte Nina unmissverständlich klargemacht, dass jeder Fehler und jede Verzögerung beim Zusammensetzen der Landkarte für Chase schwerwiegende Folgen haben würde. Zur Verdeutlichung hatte Komosa verschiedene Instrumente auf einem kleinen Tisch ausgelegt, darunter mehrere Kneifzangen und eine Bohrmaschine.
Chase erwiderte ihren Blick. Er wusste ebenso gut wie Nina, dass sie für Corvus und Sophia wertlos würden, sobald das Grab gefunden wäre. Im Moment aber blieb ihnen nichts anderes übrig, als mitzuspielen und auf eine Fluchtgelegenheit zu warten …
»Und?«, fragte Sophia ungeduldig, kam an den Tisch und warf einen Blick auf die Karte. »Wo ist das Grab?«
»Herrgott noch mal, lass mir doch einen Moment Zeit«, klagte Nina und schlug einen Atlas auf. »Ich habe schließlich nicht alle Küsten der Welt im Kopf.«
Allerdings schwante ihr bereits, wo sie mit der Suche anfangen sollte. Auf einem der bis vor kurzem noch fehlenden Blätter war eine Kompassrose abgebildet, woraus folgte, dass die Küste an der Südküste eines Meeres lag. In Anbetracht der Einschränkungen, denen die alten Griechen hinsichtlich ihrer Entdeckungsfahrten unterworfen waren, handelte es sich höchstwahrscheinlich um das Mittelmeer, woraus folgte, dass das Grab in Nordafrika lag.
Und das war durchaus plausibel. Der Legende nach hatte Herkules ausgiebig das alte Libyen bereist – das damals eine weit größere Fläche eingenommen hatte als heute. Es war davon auszugehen, dass das Grab sich an einem Ort befand, wo Herkules seinerzeit eine besonders eindrucksvolle Heldentat vollbracht hatte.
Es dauerte nicht lange, bis Nina die Möglichkeiten mithilfe des Kartenmaterials eingegrenzt hatte. Die Küstenlinie verlief von
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