Das Grab des Herkules
Südosten nach Nordwesten, machte am Nordende aber einen scharfen Knick und verlief anschließend nach Nordosten. Berücksichtigte man den Maßstab der alten Landkarte, kam eigentlich nur ein einziges Gebiet in Frage: Nina tippte auf die Küste Tunesiens, den Golf von Gabès.
»Liegt es da?«, fragte Sophia.
»Ja, das kommt hin«, sagte Nina, zwischen den beiden Karten hin- und herblickend. »Hier mündet ein Fluss und da noch einer, und dann noch diese Insel östlich der Küste …«
Corvus trat an den Tisch. »Tunesien?«
»Vielleicht auch nicht«, meinte Sophia und fuhr mit dem Finger den Weg von der Küste bis zum eingezeichneten Grab ab. »Der Maßstab ist nicht …«
»Darf ich mal?«, fauchte Nina, deren akademischer Ärger darüber, dass ihr jemand zuvorkommen könnte, alle Bedenken hinsichtlich einer Bestrafung überwog. »Schauen wir mal; der See im Westen muss der hier auf der modernen Karte sein und wäre somit achtzig Kilometer von der Küste entfernt. Maßstäbliche Ungenauigkeiten mal außen vor gelassen, liegt das Grab am Ende des ersten Drittels der Wegstrecke und somit zweihundertvierzig Kilometer landeinwärts, südwestlich von Gabès. Somit liegt es …«
»In Algerien«, sagte Chase von der anderen Seite des Raums aus. »Da kenne ich mich gut aus.«
»O ja«, sagte Sophia und seufzte geringschätzig. »Ich sage nur: Sternengucken in der Sahara, der unglaublichste Nachthimmel, den man sich nur denken kann. Wie oft habe ich das schon zu hören bekommen …«
»Fotografieren Sie das«, befahl Corvus einem seiner Männer, der auf einen Hocker stieg, um die vervollständigte Landkarte von oben aufzunehmen. »Ich danke Ihnen, Dr. Wilde. Jetzt, da Sie das Grab des Herkules lokalisiert haben, übernehmen meine Leute.«
»Lassen Sie mich mal raten«, sagte Nina und musterte ihn herausfordernd. »Sie fliegen uns in Ihrem Privatjet nach New York zurück, hab ich recht?«
»Wohl kaum.« Er wandte sich an Komosa. »Beseitigen Sie die beiden«, sagte er.
»Nein.« Sophias entschiedener Tonfall überraschte selbst Corvus; sie hatte einen Befehl ausgesprochen, der keine Widerrede duldete. »Wir brauchen sie noch.«
»Weshalb, meine Liebe?«, erwiderte Corvus bedächtig.
»Weil Dr. Wilde uns noch nicht alles gesagt hat, mein Lieber .« Sie ergriff Ninas Pferdeschwanz und ruckte heftig daran.
Nina keuchte auf vor Schmerz.
»Stimmt das, Nina?«
»Ich weiß nicht, was du meinst«, erwiderte Nina mit zusammengebissenen Zähnen.
»O doch, das weißt du genau. Während des Fluges hast du mir gesagt, du glaubtest, im Hermokrates -Text seien noch mehr Hinweise versteckt. Hinweise, die nicht nur die Position des Grabes beträfen, sondern auch die Art und Weise, wie man sich Zugang dazu verschaffen könnte, erinnerst du dich?« Sophia verdrehte ihr das Handgelenk und zerrte noch heftiger an Ninas Haar. »Ich glaube, du hältst etwas zurück, weil du hoffst, dass wir nicht hineinkommen, selbst wenn wir das Grab finden – oder dass wir in irgendeine Falle tappen und dabei umkommen.«
»Nach der langen Zeit werden die Fallen sowieso nicht mehr funktionieren«, knurrte Nina. »Das hier ist nicht Tomb Raider, Herrgott noch mal.«
Chase räusperte sich. »Äh, in Tibet gab es Fallen, die haben noch funktioniert. Irgendwie. Dabei wären ich und Jason auf dem Weg nach draußen um ein Haar umgekommen.«
Ungeachtet ihrer Schmerzen funkelte Nina ihn an. »Ja, ich weiß. Ich hätte dir Bescheid sagen sollen. Tut mir leid.«
»Siehst du? Deshalb klappt es mit euch nicht«, sagte Sophia zu Nina. »Mangelhafte Kommunikation.« Sie ließ Ninas Pferdeschwanz los. »Also, rede endlich. Wie kommen wir hinein?«
»Das weiß ich nicht«, antwortete Nina wahrheitsgemäß.
Sophia nickte Komosa zu, der Chase einen Tiefschlag in den Magen versetzte. Chase schnappte nach Luft und röchelte.
»Wie kommen wir hinein?«, wiederholte Sophia.
»Herrgott noch mal!«, sagte Nina erschreckt. »Ich weiß es wirklich nicht!«
Ein weiteres Kopfnicken und Komosa schlug Chase mit dem Totschläger gegen den Hals. Mit einem Aufschrei kippte Chase vom Stuhl und prallte mit dem Kopf auf den Hartholzboden.
Sophia musterte ihn kühl. »Also, noch mal: Wie kommen wir hinein?«
»Du elendes Miststück!«, kreischte Nina. »Ich hab doch gesagt, dass ich es nicht weiß! Lass ihn in Ruhe!«
Diesmal brauchte Sophia nicht ausdrücklich mit dem Kopf zu nicken. Komosa wandte sich von selbst dem Beistelltisch zu und nahm die Bohrmaschine in
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