Das Grab des Herkules
Ihre Vorgesetzten von der Bruderschaft darin übereinstimmen, dass meine Nachforschungen über das Grab des Herkules von Bedeutung sind, und da die Bruderschaft eingewilligt hat, der IBAK zu helfen …«
»Diese Vereinbarung wurde uns praktisch abgenötigt«, warf Popadopoulos ein. »Man hat uns keine Wahl gelassen!«
»Jedenfalls wurde sie getroffen. Und ich wollte Ihnen freundlicherweise im persönlichen Gespräch erklären, weshalb ich den Hermokrates -Text sehen muss – und zwar das Original , nicht irgendwelche Kopien oder Fotografien.«
»Da steht nichts drin, was Sie nicht bereits kennen würden!«, erwiderte Popadopoulos und hob abwehrend die Hände. »Das Manuskript befindet sich seit über zweitausend Jahren in unserem Besitz, es wurde von den Historikern der Bruderschaft gründlich studiert! Gäbe es darin irgendwelche Hinweise auf das Grab des Herkules, hätten wir sie längst entdeckt.«
»Die übrigen verschollen geglaubten Schriften Platos befinden sich seit einer vergleichbaren Zeitspanne ebenfalls in Ihrem Besitz, aber Sie haben Atlantis nicht gefunden. Ich hingegen schon«, erklärte Nina scharf.
Popadopoulos wirkte getroffen. »Kritias kündigt im Hermokrates mehrfach an, dass er Sokrates und den anderen den Ort und die Geheimnisse des Grabes, in die Solon ihn eingeweiht habe, enthüllen werde, doch er tut es nicht. Weil der Text nicht vollendet wurde!«
»Da bin ich anderer Ansicht. Hermokrates ist in jeder anderen Beziehung ein vollständiger Dialog. Zum Schluss bleibt nur die Angelegenheit mit dem Grab des Herkules offen – und es wäre schon ein toller Lapsus, wenn Plato das lediglich übersehen hätte!« Ninas Tonfall wurde milder, als sie sich in Erinnerung rief, dass sie Popadopoulos zur Zusammenarbeit bewegen wollte. »Ich bin der festen Überzeugung, dass in dem Text irgendein Hinweis zu finden ist, der sich aus Abschriften oder Kopien der Pergamente nicht erschließt. Mr. Popadopoulos, wir sind beide Historiker – wir bewahren und dokumentieren die Vergangenheit. Das ist unsere große Leidenschaft. Das treibt uns an. Ich bin mir sicher, dass ich einen Hinweis auf das Grab des Herkules finden werde, wenn Sie mir Einblick in die Originalschriften gewähren. Wir wissen beide, weshalb die Entdeckung von Atlantis nicht bekannt gemacht werden darf, doch das Grab des Herkules ist ein alter Schatz, der die Öffentlichkeit angeht.«
Popadopoulos schwieg, schien aber über ihre Worte nachzudenken.
Nina fuhr fort: »Ich garantiere Ihnen, dass alle nötigen Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden, um die Pergamente zu schützen. Die einzigen IBAK-Angehörigen, die sie zu Gesicht bekommen werden, können Sie selbst autorisieren. Sie werden uneingeschränkten Zugang zu den Pergamenten behalten und können die Sicherheitsmaßnahmen selbst festlegen. Ich bitte Sie nur darum, dass ich das Manuskript hier in New York in Augenschein nehmen darf, damit ich gegebenenfalls auf die Forschungseinrichtungen der IBAK zurückgreifen kann. Das Archiv der Bruderschaft ist ein unschätzbarer Quell des Wissens – bitte lassen Sie mich daran teilhaben. Um der Geschichtsforschung willen.«
Nina lehnte sich zurück. Sie hatte ihr Sprüchlein aufgesagt; jetzt lag alles an Popadopoulos. Er schwieg eine Weile, und Ninas Besorgnis steigerte sich mit jedem Ticken der Uhr. Wenn er nein sagte, stand sie wieder ganz am Anfang …
»Ich werde mir Ihren Vorschlag durch den Kopf gehen lassen«, sagte er schließlich. Seinem resignierten Tonfall war zu entnehmen, dass er ihr tatsächlich Einblick gewähren würde; da die Bruderschaft bereits ihr grundsätzliches Einverständnis bekundet hatte, konnte er sich jetzt schlecht weigern. Seine Bedenkzeit diente ihm nur dazu, das Gesicht zu wahren. »Außerdem muss ich mit der Bruderschaft sprechen.«
»Lassen Sie sich ruhig Zeit«, sagte Nina. »Sie können mein Telefon benutzen.« Sie deutete auf den Schreibtisch. »Ich lasse Sie allein – wenn Sie mich brauchen, wählen Sie einfach die Null, dann werde ich ausgerufen.«
»Danke, Dr. Wilde.«
Sie erhoben sich und schüttelten einander förmlich die Hand, dann ging Nina hinaus.
Als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, boxte sie in die Luft. Ja! Von Triumphgefühl erfüllt, wandte sie sich zur Cafeteria. Doch gerade, als sie überlegte, was sie sich auf diesen kleinen Sieg hin gönnen sollte – mit Kaffee war schlecht feiern, doch nach der gestrigen Party hatte sie keine Lust auf Sekt –, erstarrte Nina.
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