Das Grab des Herkules
sich. »Okay, Boss , habe ich deine Erlaubnis, mir heute Vormittag frei zu nehmen? Ich muss zur Reinigung, weil mir jemand Rotwein aufs Sakko geschüttet hat.«
»Herrgott!« Nina riss nun endgültig der Geduldsfaden. »Mach doch, was du willst! Nimm dir den Vormittag frei, meinetwegen die ganze Woche ! Ist mir doch egal.« Sie schnappte sich ihre Tasche, ging hinaus und warf die Tür hinter sich zu. »Verflucht und zugenäht!«, knurrte Chase und funkelte die afrikanische Statue an. »Und du, verpiss dich!«
Die Statue erwiderte seinen Blick schweigend.
Wutschäumend holte er sein Sakko aus dem Schlafzimmer. Die Flecken waren auf dem dunklen Stoff gut zu erkennen. »Scheiße«, knurrte er. »Ich muss wohl tatsächlich zur Reinigung.« Er leerte die Taschen – und berührte etwas Unerwartetes. Ein zusammengefaltetes Blatt Papier. Neugierig faltete er es auseinander.
Chase erkannte die Handschrift wieder, noch ehe er die Unterschrift gesehen hatte. Sophia . Offenbar hatte sie ihm den Zettel in die Tasche gesteckt, als sie ihn am Sakko gezupft hatte.
Er las die Nachricht.
Seine Augen weiteten sich. Er konnte es einfach nicht glauben und las die Botschaft noch einmal. Doch da stand es schwarz auf weiß.
»Verflucht …«, flüsterte er. Die Reinigung konnte warten – er musste zur IBAK.
Aber nicht, um mit Nina zu sprechen. Das hier war eine Nummer zu groß für sie.
Ninas Büro war mit einem kleinen Bad ausgestattet, in dem sie sich mehr schlecht als recht zurechtzumachen versuchte, um auf ihren Besucher einen möglichst gepflegten und professionellen Eindruck zu machen. Sie musterte ihr Spiegelbild und berührte den Anhänger der Halskette. Bei dem geschwungenen Metallstück handelte es sich um ein atlantiatisches Artefakt, das sie vor Jahren entdeckt hatte, ohne seine Herkunft zu kennen; seitdem betrachtete sie es als ihren Glücksbringer und hoffte, es würde ihr heute helfen, ihre Ziele zu erreichen.
Zufrieden mit ihrer Frisur, der man endlich wieder die fünfhundert Dollar ansah, die sie wert war, vergewisserte Nina sich, dass ihr Armani-Blazer und das Hemd keine Falten warfen und dass ihre schwarzen Stöckelschuhe sauber waren, dann sah sie auf die Uhr. Zeit für die Besprechung.
Zuvor aber musste sie noch etwas üben.
Nina ging wieder ins Büro, setzte sich an den Schreibtisch und blickte durch das Fenster des UN-Gebäudes auf die Skyline von Manhattan. »Okay. Ich schaffe das, das kriege ich hin.« Sie atmete tief durch. »Guten Morgen, Mr. Popadol– verdammt ! Popo, Popadolapis – Mist!« Sie klatschte sich mit der flachen Hand an die Stirn. »Ich bin immer noch betrunken! Mr. Nicholas Popadopoulos«,brachte sie schließlich heraus, jede Silbe einzeln betonend. »Po-pa-do-pou-los. Popadopoulos. Endlich!« Unwillkürlich kicherte sie. »Okay, jetzt bin ich bereit, Sie zu empfangen, Mr. Popadopoulos. Und Sie werden mir geben, was ich haben will.«
Der fragliche Mann traf ein paar Minuten später ein. Nina hatte bereits mehrmals mit ihm telefoniert, war ihm aber noch nicht persönlich begegnet. Für eine derart einflussreiche Persönlichkeit wirkte er eher unscheinbar. Popadopoulos war über sechzig und ging leicht gebeugt. Sein schütteres schwarzes Haar klebte ihm am Schädel, doch er bemühte sich vergeblich, die kahle Stelle zu verbergen. Der Grieche hatte einen schmalen Oberlippenbart und trug eine dicke Brille, durch die er Nina misstrauisch musterte, als sie ihn ins Büro geleitete.
»Guten Morgen, Mr. Popadopoulos«, sagte sie und verkniff sich ein zufriedenes Lächeln. »Es freut mich, Sie endlich persönlich kennenzulernen.«
»Dr. Wilde, ja«, erwiderte er. Sein griechischer Akzent war leicht italienisch gefärbt – die Bruderschaft von Selasphoros war in Rom beheimatet, und wenn Ninas Informationen zutreffend waren, leitete Popadopoulos schon seit über drei Jahrzehnten das Archiv der Geheimgesellschaft. »Ich verstehe wirklich nicht, weshalb Sie mich gezwungen haben, nach New York zu kommen, nein, ganz und gar nicht. Wo es doch mittlerweile diese wundervollen neuen Erfindungen wie Telefon, Fax und E-Mail gibt. Ich nehme an, Sie haben doch schon davon gehört?«
»Bitte nehmen Sie Platz«, sagte Nina freundlich, obwohl sie ihn am liebsten gewürgt hätte. »Ich habe Sie deshalb gebeten , nach New York zu kommen, weil ich Sie dank der technischen Errungenschaften wie Telefon, Fax und E-Mail nicht dazu bewegen konnte, mir zu helfen. Und da meine Vorgesetzten von der IBAK und
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