Das Grab des Herkules
einem besonders hässlichen Schnitt an der Stirn, unmittelbar unter dem Haaransatz, lief ihr Blut übers Gesicht.
»Du blutest«, brummte er.
Als sie ihn ansah, weiteten sich ihre Augen vor Schreck. »Du auch!«, flüsterte sie.
Er fasste sich an eine besonders schmerzhafte Stelle an der Wange. Als er die Finger wegnahm, waren sie blutverschmiert. Er hatte einen metallischen Geschmack im Mund. Er tastete mit der Zunge umher und stellte fest, dass sich ein Backenzahn gelockert hatte und nur noch vom Zahnfleisch festgehalten wurde. Als er ihn berührte, knirschte es.
»Scheiße«, murmelte Chase und spuckte Blut. »Ich hasse Zahnarztbesuche.«
Nina versuchte sich aufzurichten und keuchte auf, als sie das Gewicht auf den linken Fuß verlagerte.
»Bist du okay? Hast du dir irgendwas gebrochen?«
»Nein«, antwortete sie mit zusammengebissenen Zähnen. »Ich glaube – ah! –, es ist nur eine Verstauchung. Autsch, o Mist.« Behutsam setzte sie den Fuß abermals ab und zuckte zusammen. »Ich kann gehen, oder wenigstens humpeln. Was ist mit dir?«
Chase stemmte sich auf die Knie hoch, dann atmete er tief durch und richtete sich auf. Er schwankte einen Moment. Sein Körper fühlte sich an, als wäre er mit einem Gummiknüppel durchgewalkt worden – aber wenigstens schien nichts gebrochen zu sein. Versuchsweise tat er ein paar Schritte, dann ging er zu Nina hinüber.
»Ich werd’s überleben«, sagte er mit einem schiefen Lächeln und mahnte sie zur Eile. »Komm jetzt, wir müssen weiter. Sie werden bald hier sein.«
Nina blickte sich zu der Ebene um, die sie überquert hatten. Dort, wo der Laster seine Ladung abgekippt hatte, stieg noch immer Staub in die Luft, und auch am Horizont waren mehrere kleinere Staubwolken zu erkennen – was bedeutete, dass sich gleich mehrere Fahrzeuge näherten.
»Wo sollen wir hin?«, fragte sie, legte eine Hand an den Kopf und zuckte zusammen, weil sie einen blutenden Schnitt berührt hatte. »Bis zur Startbahn werden wir’s nicht mehr schaffen.«
Chase stützte sie und näherte sich der Abbruchkante. Nachdenklich spähte er in die Tiefe und ließ die spektakuläre Aussicht kurz auf sich wirken. Das Okavangodelta erstreckte sich bis zum Horizont, eine grasbestandene Savanne, umgeben von Sumpfland und breiten, trägen Wasserläufen. Im Vergleich zu der staubigen Wüste waren die Farben dort unten überwältigend. In der Ferne flog ein Flugzeug, ein sich langsam bewegender weißer Fleck am tiefblauen Himmel.
»Als Erstes müssen wir ein Transportmittel finden«, sagte er.
»Leichter gesagt als getan.« Nina beugte sich vorsichtig über den Rand und blickte zu dem qualmenden Wrack des Lasters hinunter, der wie ein totes Tier auf dem Rücken lag, dreier seiner Räder beraubt.
»Ach, weißt du was?« Chase klang auf einmal so optimistisch, dass sie ihn forschend musterte. Er zeigte nach rechts. Dort, wo der Hang flacher wurde, führte ein Hügel zu einem See hinunter – an dessen Ufer eine Holzhütte mit einem kleinen Anlegesteg stand. Daran war ein Boot vertäut. »Warst du schon mal auf Flusssafari?«, fragte er und grinste.
13
A h! Langsamer, langsamer!«, keuchte Nina, deren Knöchel schmerzhaft pochte, als sie mit Chase den Hang hinuntereilte.
»Na gut, gehen wir’s locker an«, sagte Chase mitleidslos. »Du hast ja recht, das Wetter ist gut, die Stimmung noch besser und überhaupt: Wir sollten die Aussicht genießen und ein Picknick machen. Zum Frühstück gab’s ja schließlich nur eine Verfolgung durch Auftragskiller und die halbe botswanische Armee, da sollten wir wirklich mal eine kleine Rast einlegen. Kein Grund zur Eile!«
Nina bedachte ihn mit einem finsteren Blick und atmete tief durch die Nase ein, um sich zu beruhigen. Die Technik funktionierte allerdings nicht. »Weißt du was, Eddie«, sagte sie mit harter Stimme, »ich hab die Schnauze voll von deinem Sarkasmus.«
»Ach, tatsächlich?«, erwiderte er. Sarkastisch, was auch sonst.
»Ja, allerdings! Seit Tagen verhältst du dich wie ein komplettes Arschloch – nein, wenn ich’s recht bedenke, schon seit Wochen.« Sie schnaubte und winkte ab. »Eigentlich schon seit Monaten ! Was zum Teufel ist los mit dir?«
»Mir mir ist gar nichts los«, erwiderte Chase. In seiner Stimme schwang Wut mit. »Wenn hier jemand das Arschloch gibt, dann du.«
»Ich?« , rief Nina verletzt. »Was habe ich denn getan, bitte schön?«
Chase schnaubte. »Das ist eine lange Liste.«
»Wie wär’s, wenn du es mir
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