Das Grab des Salomon
auch keine Nachricht hinterlassen?«
»Nein.«
Vincent stieß einen lauten Fluch aus, und Nathan spürte sofort wieder die allgegenwärtige Aura des Geheimnisvollen, die den Friedhofswärter umgab. Er empfand dies als so irritierend, dass er mit lauterem, weniger behütetem Tonfall darauf reagierte.
»Was ist los, Mr. Tarretti?«
»Gar nichts.«
»Sie lügen.« Nathan umklammerte den Hörer. Seine Verzweiflung und Verwirrung schwollen plötzlich zu sehr an, um sie zu bändigen. »Hört sich so an, als wären sie nicht überrascht, dass Hayden verschwunden ist.«
»Wenn Sie sonst nichts brauchen, Herr Pastor, würde ich jetzt gern –«
Nathan schrie ins Telefon: »Sie bleiben gefälligst am Apparat und sagen mir, was los ist! In letzter Zeit wurde ich mit so vielen rätselhaften Dingen konfrontiert, dass es für den Rest meines Lebens reicht. Seit ich hier bin, reiht sich ein seltsamer Vorfall an den anderen, und jetzt werde ich das Gefühl nicht los, dass Sie mehr wissen, als Sie zugeben. Wo ist Pastor Hayden?«
»Was für seltsame Vorfälle?«, fragte Tarretti . Nathan spürte, wie seine Verärgerung mit jeder sinnlosen Wende des Gesprächs wuchs. Dieser Mann ignorierte einfach alles, was er gerade gesagt hatte. Nathan holte tief Luft und beschloss, seinerseits die Frage des Friedhofswärters zu ignorieren. »Wo ist Pastor Hayden?«, wiederholte er.
»Ich weiß es nicht.«
»Warum haben Sie sich nicht überrascht darüber angehört, dass er verschwunden ist?«
»Ich war überrascht. Tut mir Leid, wenn ich nicht so reagiere, wie Sie es gerne hätten. Mir geht in letzter Zeit vieles durch den Kopf.«
»Was zum Beispiel?«
»Das geht Sie nichts an.«
»Ich fürchte, das tut es sehr wohl. Seit wir uns zum ersten Mal begegnet sind, habe ich das Gefühl, dass Sie sich mir gegenüber seltsam verhalten. Warum?«
»Vielleicht sind Sie paranoid.«
Abermals holte Nathan Luft. Dabei wurde ihm klar, dass er sich allmählich tatsächlich so anhörte. Herr, gib mir Kraft. Ich spüre, dass ich etwas auf der Fährte bin, aber was? Warum führe ich mich so auf?
»Herr Pastor?«
»Tut mir Leid, dass ich Sie angeschrien habe. Durch die Übernahme der Kirche und die Sorge um meinen Vater habe ich in letzter Zeit nicht gut geschlafen. Ich fürchte, angesichts dieses neuen Zwischenfalls lasse ich bloß meinen Frust an Ihnen aus.« Er meinte nicht wirklich, was er sagte. Viel lieber hätte er in den Hörer gebrüllt, doch er zwang sich, einen Gang zurückzuschalten.
»Entschuldigung angenommen. Tut mir Leid, dass Sie schlecht schlafen. Schlimme Träume?«
Nathan sog scharf die Luft ein. Die Frage war in harmlosem Tonfall gestellt worden, aber in seinem gegenwärtigen Zustand der Übersensibilität traf sie ihn wie ein Schlag. Dreh jetzt bloß nicht durch. Er hat nur versucht, nett zu sein.
»Herr Pastor?«
»Nichts, worüber man sich Sorgen machen müsste. Kann sein, dass ich tatsächlich Albträume hatte, aber inzwischen haben sie aufgehört. Wie auch immer, fällt Ihnen zufällig ein Ort ein, den Pastor Hayden aufgesucht haben könnte?«
Wieder folgte längeres Schweigen, dennoch antwortete Tarretti diesmal rascher als zuvor. »Ich weiß es wirklich nicht. Ich wünschte, ich könnte Ihnen hilfreicher sein. Wovon haben Ihre Albträume denn gehandelt?«
»Warum wechseln Sie ständig das Thema?« Nathan hatte keine Ahnung, weshalb, aber plötzlich verspürte er den Drang, sich diesem Mann anzuvertrauen, ihm alles zu erzählen. Was überhaupt keinen Sinn ergab. Schließlich hatte Nathan ihn wegen Haydens Verschwinden angerufen, nicht, um sich therapieren zu lassen. Im Augenblick wollte er nur noch auflegen und jede Verbindung mit Vincent Tarretti kappen. »Vergessen Sie meine Träume. Falls Sie etwas hören oder Ihnen etwas einfällt, geben Sie mir bitte Bescheid.«
»Mach ich.«
»Danke.«
»Und falls Sie etwas hören, rufen Sie umgekehrt bitte mich an.«
Nathan versprach es ihm und legte auf. Er lehnte sich auf dem Stuhl zurück und vergrub das Gesicht in den Händen. Die Unterhaltung war ihm entglitten. Tarretti wollte lediglich höflich sein und wahrscheinlich versucht, einen in Panik verfallenen Priester zu beruhigen. Zugegeben, der Mann schien außerstande, einen Gesprächsfaden beizubehalten, aber Nathan erinnerte sich daran, dass es spät war und er ihn unter Umständen aus dem Schlaf gerissen hatte. Sein Puls raste, als hätte er mit Tarretti in einem Boxring gekämpft.
Er senkte die Hände, holte
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