Das Grab des Tauren
werden.«
»Was meinst du mit benützen? Sehen?«
Der Priester nickte zustimmend.
»Nichts sonst?«
»Was Blicke können: Lähmen, befehlen… vielleicht sogar töten. Aber das ist nur eine Vermutung…«
Thonensen wurde bleich. »Kann ich etwas dagegen tun?«
»Du meinst, dich wehren…?« Er nickte nachdenklich. »Ich weiß nicht, welche Magie du kennst… aber es muß eine gute Magie sein.«
»Und wenn ich es mir herausreiße… oder ausbrenne…?«
»Dann wirst du das Auge verlieren.«
»Hast du einen Rat für mich?«
»Schlag dich auf die Seite, der du eigentlich schon angehörst.«
Eine Weile war Schweigen, dann nickte der Burgherr dem Priester zu, der sich entfernte.
»Was sagt Ihr?« fragte Thonensen.
»Ich werde darüber nachdenken. Morgen vielleicht werde ich eine Meinung haben. Aber eines wissen wir beide schon jetzt: früher oder später werdet Ihr ein Verräter sein… ob Ihr es wollt oder nicht.«
*
Es wurde eine Nacht ohne viel Ruhe.
Thonensen lag auf dem Rücken und starrte in die Dunkelheit. Er fühlte nicht, daß sein Auge aus Stein war, aber er zweifelte nicht, daß der Priester es so gesehen hatte. Er lag grübelnd. Wer hatte recht? Wer erlag der Illusion?
Finsternis war das Gegenstück zur Wirklichkeit. Magie konnte den Stoff formen, ohne auf die Gesetze der Natur zu achten.
Er fragte sich, ob er im Augenblick wirklich frei war, oder ob sie ihn und seine Umwelt gerade beobachteten. Wie würde es sein, wenn sie ihn benutzten?
Er erhob sich ruhelos. Am Ausgang des Turmes standen zwei Wachtposten. Sie waren müde und mißmutig, aber sie gaben ihm Feuer für eine Lampe.
Danach sah er sich gründlich in den Gemächern um. In den meisten der Truhen waren kostbare Frauengewänder. Er suchte nach nichts Bestimmtem. Er war nur neugierig.
Es war ein reiner Zufallsfund.
Zwischen den Kleidern ein Stück Leder. Er wollte die Truhe bereits wieder schließen, als sein Blick darauf fiel. Es war das Ende eines breiten Gürtels – rot gefärbt auf der einen Seite, und mit seltsamen Zeichen versehen auf der anderen.
Die Zeichen waren es gewesen, die ihm aufgefallen waren. Sie waren mit einer feinen Feder gezeichnet. Er starrte verwundert darauf, denn fast der ganze Gürtel war damit versehen. Vereinzelte Schriftzeichen fanden sich zwischen Rechtecken und schmalen Streifen, die wie Korridore anmuteten.
Korridore! Er wußte plötzlich, daß es ein Plan war – ein Plan von Korridoren.
Er versuchte sich zu orientieren, glaubte den Turm wiederzuerkennen. Einer der Gänge schien im Fuß des Turmes zu enden. Demnach mußte sich unterhalb des untersten Raumes noch ein weiterer befinden.
Vorsichtig stieg er hinab. Er entdeckte eine Falltür, die sich verräterisch knarrend öffnen ließ und den Blick über eine Leiter hinab in absolute Dunkelheit freigab. Da es immer gut war, einen möglichen Fluchtweg zu wissen, stieg Thonensen etwa zwanzig Sprossen hinab bis auf einen steinernen Boden. Er fand auch gleich die Stelle seines Planes.
Da war ein Spalt im Mauerwerk und ein großer Stein, der nachgab, einer Tür gleich. Dahinter war die Dunkelheit eines großen Raumes. Er konnte nicht viel sehen, nur ein Stück Wand, so weit das spärliche Licht seiner Lampe reichte, und ein wenig des Bodens zu seinen Füßen; keine Decke, keine gegenüberliegende Wand. Die Geräusche seines Eindringens klangen hohl und verloren in der Unermeßlichkeit des Raumes. Er war nun sicher, daß er sich in einem alten Teil der Festung befinden mußte. Er bückte sich mit der Lampe. Staub lag auf dem steinernen Boden. Viele Spuren waren darin zu erkennen, solche von zierlichem und solche von sehr großem Schuhwerk. Es gab keinen Zweifel, daß die Prinzessin oft diesen Weg gegangen war, und offenbar in Begleitung.
Neugier erwachte in ihm. Was gab es in diesen alten Hallen, das die Frau so sehr interessierte, machthungrig, wie sie war? Waffen der Riesen? Schätze? Dunklere Geheimnisse? Weshalb dieser Plan von Korridoren auf einem Gürtel?
Er war müde, aber er wußte auch, daß an Schlaf nicht mehr zu denken war. So kletterte er die Leiter hoch und schloß die Falltür. Wenn jemand in den Turm kam, sollte er nicht sofort sehen, welchen Weg er genommen hatte.
Dann stieg er erneut in die nachtdunkle Halle und schloß vorsichtig den Stein hinter sich. Die Dunkelheit und Stille drohten ihn einen Atemzug lang zu verschlingen. Er schüttelte sich und folgte den Spuren. Er kam an mächtigen kantigen Säulen vorüber, die ihn an
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