Das Grab in der Hölle
runzelte die Stirn. »Wer ist sie?«
»Dort.« Myxin streckte den rechten Arm aus und wies auf den links von mir stehenden Stein. In dessen Schatten nahm ich eine Bewegung wahr, und im nächsten Augenblick erschien dort eine Frauengestalt.
»Kara!« rief ich erstaunt.
Es war tatsächlich die Schöne aus dem Totenreich, deren Geist damals in Atlantis die Jenseitswelten durchforscht hatte und die ihrem Vater am Sterbebett versprochen hatte, dass sie sein Erbe weiterführen würde. Bis zum Tod…
Sie kam näher. Ein Lächeln lag auf ihrem Gesicht, das von einer dunklen Haarflut umwellt wurde. Sie hatte eine etwas blasse Haut, dafür große dunkle Augen und einen fein geschwungenen Mund. Ihr Körper war schlank, er erinnerte an eine biegsame Gerte, und in ihren Adern floss das Blut einer alten Rasse.
Vor mir blieb sie stehen und reichte mir die Hand. »Willkommen bei den flammenden Steinen, John Sinclair«, sagte sie schlicht.
»Danke.«
Ich betrachtete sie. Kara trug ein langes schillerndes Gewand, in dem die Farben des Regenbogens zu finden waren. In weichen Falten fiel es bis auf die Knöchel und berührte auch die feinen Sandalen, die ihre Füße umschlossen.
Myxin und Kara hatten sich zusammengeschlossen, um ein altes Erbe wieder voll erblühen zu lassen und gegen die Mächte der Finsternis anzutreten.
Myxin sagte: »Karas Magie wird es dir ermöglichen, in die jenseitige Welt einzudringen.«
»Dann hast du sie gesehen?« fragte ich das Mädchen.
»Ja, vor zigtausend Jahren, als mein Geist die Totenreiche durchforschte, konnte ich auch einen Blick in den Vorhof der Hölle werfen, und ich sah die Kammern der Tausend Qualen.«
Verflixt, die hatte ich ja völlig vergessen. »Du weißt, was mich erwartet?«
»Nein, John Sinclair, ich würde es dir gern sagen, aber die Kammern waren für mich verschlossen. Dafür hörte ich die Schreie der Geknechteten, denn dort hält die Hölle alle Qualen bereit. Nie ist es einem Menschen bisher gelungen, die Kammern zu durchqueren.«
Ich lächelte schief. »Du verstehst es wirklich, einem Mann Mut zu machen, Kara.«
»Nein, entmutigen möchte ich dich nicht, John Sinclair. Nur sollst du wissen, dass es kein Honigschlecken ist, wenn du die Kammern durchquerst, das meine ich.«
»Und wenn ich es tatsächlich schaffe? Was erwartet mich dann? Destero - oder der endgültige Tod?«
»Beides.«
Die Antwort hallte in mir nach. Ich senkte den Kopf. Noch konnte ich es mir überlegen. Myxin und Kara ahnten, welch schwere Gedanken mich beschäftigten. Sie sagten nichts, überließen die Entscheidung mir ganz allein.
Ich ertappte mich bei dem Gedanken, dass ich danach fragte, wer wohl um mich trauern würde? Bestimmt meine Freunde, und sie würden, so wie ich sie kannte, den Kampf weiterführen. Bestimmt noch verbissener als zuvor. Wenigstens Suko und vielleicht auch Jane. Wenn ich jetzt kniff, würden die Dämonen zurückkehren und zuschlagen. Vor allen Dingen Destero fühlte sich dann als Sieger. Er würde all seine Grausamkeit gegen die Menschheit ausrichten, nein, da war es schon besser, wenn ich mich ihm stellte.
Ich trug das Kreuz bei mir. Die Beretta mit der geweihten Kugel, die gnostische Gemme und Sukos Stab. Allerdings hatte ich ihm die Dämonenpeitsche gelassen, dafür steckte in meinem Gürtel noch der geweihte Silberdolch. Reichten die Waffen?
»Hast du dich entschieden?« fragte Kara nach einer Weile.
Ich hob den Kopf. »Ja, ich werde meinen Weg gehen. Nichts hält mich davon ab.«
Kara nickte. Sie wandte sich ab und blieb in der Mitte zwischen den Steinen stehen.
Myxin legte mir seine Hand auf die Schulter. »Ich würde dich gern begleiten, John Sinclair, das kannst du mir glauben, aber es gibt Dinge, für die ich mich einfach nicht stark genug fühle. Ich kann dir wohl hin und wieder behilflich sein, dir einen Weg zeigen und auch weisen, aber aktiv einmischen kann ich mich leider noch nicht. Ich hoffe nur, dass irgendwann die Zeit kommen wird, wo ich wieder ein mächtiger Dämon sein werde, und Kara wird mir dabei helfen.«
»Du wirst es schaffen, Myxin«, sagte ich, »ganz sicher.«
Kara wartete auf mich. Der Magier gab mir zu verstehen, dass ich mich ebenfalls in den Kreis begeben müsste. Kara würde dann eine magische Verbindung herstellen, damit ich ohne Übergang in eine andere Welt gelangte.
Ich schritt zwischen den ersten Steinen hindurch. Dabei hatte ich das Gefühl, eine unsichtbare Wand zu durchbrechen. In Höhe meiner Brust spürte ich einen
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