Das Grab ist erst der Anfang: 12. Fall mit Tempe Brennan
häuslichen Pflichten verbrachte ich Zeit mit meiner Tochter. Katy war nicht zufrieden mit ihrem Job bei den Pflichtverteidigern im Public Defender's Office und überlegte sich deshalb eine Veränderung, vielleicht auch ein weiterführendes Jurastudium. Ich hörte mir ihre Klagen und Überlegungen an, murmelte an den passenden Stellen mein Mitgefühl und sagte meine Meinung, wenn sie gefragt war.
Charlie Hunt sah ich relativ häufig. Wir gingen zum Abendessen, ein paar Mal ins Kino und einmal zu einem Spiel der Bobcats, spielten zwei Mal Tennis. Obwohl der Kessel schon fast am Kochen war, ließ ich den Deckel drauf. Ein bisschen kuscheln, wie wir im Süden sagen, dann nach Hause und ins Bett mit meiner Katze.
Wochen vergingen.
Die Oka-Frau blieb inconnue. Unbekannt. Marilyn Keiser blieb disparue. Verschwunden.
Am 25. stutzte ich eben Birdie die Krallen, als mein Handy klingelte.
Emily Santangelo.
Ich legte die Schere weg, schaltete mit einer Hand auf Freisprechen und drückte mir mit der anderen den Kater an die Brust. Birdie, der bereits leicht angesäuert war, fing heftig an zu strampeln.
»Was gibt's?«, fragte ich und drückte den Kater fester. Birdie miaute ungehalten.
»Ist es gerade ungünstig?«
»Überhaupt nicht.«
Birdie begann, an meinen Fingern zu nagen.
»Hör auf.« Scharf.
»Alles okay?«
»Bestens. Hat der Coroner einen Stinker für mich?«
»Ich rufe nicht wegen eines Falls an.«
Ich war überrascht und überlegte einen Augenblick. »Sind meine DNS-Ergebnisse da?«
»Nein.«
»Hat man Villejoin- Verwandte in Beauce aufgespürt?«
»Soweit ich weiß nicht.«
Mein Blut wurde zu Eis. »LaManche?«
»Nein, nein. Dem Chef geht es gut. Na ja, relativ gut. Er spricht auf die Antibiotika an, wird allerdings die nächsten sechs Wochen noch außer Gefecht sein.«
Unbewusst entspannte ich meinen Arm. Birdie strampelte sich frei, sprang auf den Boden und schoss aus dem Zimmer.
»Ohne den alten Knaben ist's einfach nicht mehr so, wie's mal war.« Die Erleichterung ließ mich plappern. »Haben Sie je über ihre Schulter geschaut, und LaManche war einfach da? Wie kann sich jemand mit einer solchen Masse so leise bewegen?«
Santangelo ignorierte mein Gefasel. »Hat Hubert Sie gestern angerufen?«
»Nein.« Ich wischte mir Haare vom T-Shirt. »Warum?« Ich hörte ein zögerndes Schlucken.
»Emily?«
»Dieser Anruf ist inoffiziell.«
In meinem Kopf bimmelte eine winzige Alarmglocke. »O-kay.«
»Kommen Sie nach Montreal, Tempe.«
»Sie haben doch gesagt, dass mich im Augenblick keiner braucht.« Ich lachte. »Muss irgendeine glückliche Sternenkonstellation sein. Vielleicht treibt es Jupiter mit Venus, und ganz Quebec übt sich in brüderlicher Liebe. Das dürfte wahrscheinlich die längste Zeit -«
»F1iegen Sie her.«
Noch einmal das Glöckchen.
Ich schalte den Lautsprecher ab und drückte mir das Handy ans Ohr.
»Ist Hubert noch immer sauer wegen der Fingerknochen?« Ein langes, langes Schweigen rollte von Norden her.
»Sagen Sie's mir«, drängte ich. »Mit Hubert komme ich schon zurecht.«
»Er hat sie.«
»Was?« Die katzenhaarewischende Hand erstarrte auf meiner Brust.
»Er hat die Fingerglieder.«
»Wie?«
»Joe ist noch einmal nach Oka gefahren. Mit Briel.«
»Wie kam's denn dazu?«
»Briel hat es angeboten, um Erfahrungen zu sammeln. Sagte, sie würde am Samstag arbeiten, um verlorene Zeit reinzuholen.« Santangelos Stimme war flach, irgendetwas versteckte sich unter ihren Worten. »Sie meinte, Joe würde schon wissen, was zu tun sei, schließlich sei er ja bei der ersten Bergung mit dabei gewesen. Hubert hat das geschluckt. Einer der beiden hat die Knochen beim Sieben entdeckt.«
»Wann war das?«
»Am Freitag.«
»Wie zum Teufel kommt eine Pathologin dazu, Knochen auszubuddeln?«
»Anscheinend hat sie während eines Aufbaustudiums nach der Promotion in Frankreich einen Kurs in forensischer Anthropologie gemacht.«
Beinahe hätte ich das Handy zerquetscht oder in die Ecke geworfen. Stattdessen nahm ich es in die linke Hand.
»Hat Hubert vor, mir das zu sagen?«
»Er weiß es vielleicht noch gar nicht. Sie sind erst ziemlich spät fertig geworden. Ich hab es nur herausgefunden, weil ich noch in meinem Büro einen Bericht schrieb, als sie ins Institut zurückkamen. «
Ein Nicht-Experte, der in meinem Revier wilderte. Ich atmete einmal tief ein, um mich zu beruhigen. Atmete aus.
»Ich bin am Montagmorgen da.«
An diesem Abend sah ich Charlie wieder. Sushi.
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