Das Grab ist erst der Anfang: 12. Fall mit Tempe Brennan
Überreste geborgen wurden?« Briel hob den Blick.
»Ja.« Eisig.
»Der Coroner will wissen, ob eine Identifikation oder ein Ausschluss jetzt möglich ist.«
»Ich spreche mit ihm.« Kein Wort mehr. Ich hatte beschlossen, mit meiner Beschwerde direkt zu Hubert zu gehen.
Ich konnte nicht anders als mich zu fragen, ob Joe Briel freiwillig begleitet hatte. Er wusste, dass ich wütend sein würde. War dieses neuerliche Graben in Oka seine Art, mich zurechtzuweisen?
Als Marin fragte, ob es sonst noch etwas zu besprechen gebe, räusperte sich Santangela.
»Ja, da ist tatsächlich noch etwas.« Wir lehnten uns alle zurück.
»Ich habe eine Stelle im Bureau du coroner angenommen.« Santangelos Blick huschte zwischen Morin, Ayers und mir hin und her und verweilte bei jedem nur wenige Sekunden. »Am ersten Februar fange ich an.«
Wir starrten sie alle nur schockiert an. Santangela war seit fünfzehn Jahren beim LSJML.
Briel, die rechts von mir saß, hielt nur kurz inne und kritzelte dann weiter.
»Ich weiß, dass das sehr unvermittelt erscheint.« Santangelo schob die Etikettfetzen zu einem Häufchen zusammen. »Aber das ist es nicht. Ich denke schon eine ganze Weile über eine Veränderung nach.«
Santangelo schaute nun mich an. Ich erwiderte den Blick. Warum hast du nichts gesagt, als du mich in Charlotte angerufen hast? Ist das der Grund, warum du mich gedrängt hast, nach Montreal zurückzukehren? Ich stellte beide Fragen nicht.
Santangelo wandte den Blick ab. »Wow.« Ayers sank in sich zusammen.
»I weiß, dass das Timing beschissen ist. Ihr müsst ja immer noch neue Leute einarbeiten.« Santangelos Tonfall war neutral. Ausweichend? »Ich helfe beim Übergang so gut ich kann.«
Ayers und Morin wechselten einen schnellen Blick. Ich sah darin einen ganzen Monat der Gespräche.
»Sind Sie sicher?« Besorgnis verdunkelte Morins bereits dunkle Augen. Vielleicht auch Überdruss. Santangelos Weggang bedeutete noch einmal einen langen Auswahl- und Einstellungsprozess. »Ja.« Santangelo schob ein abseits liegendes Fetzchen zu dem Häufchen.
»Wir werden Sie vermissen«, sagte ich.
»Wir werden uns ja trotzdem noch sehen.« Santangelo versuchte, es fröhlich klingen zu lassen, aber es gelang ihr nicht so recht. »Ich bin dann ja nur eine Etage weiter unten.«
Wir verließen den Raum. Keine Witze. Keine Plaudereien. Kaffee, dann wieder in mein Büro. Nachdem ich meinen Parka auf den Gardarobenständer gehängt hatte, hörte ich meinen Anrufbeantworter ab und erwiderte einige Anrufe.
Beim Auflegen fiel mein Blick auf einen Brief, der aus dem Stapel auf meinem Schreibtisch gerutscht war. Der kleine, weiße Umschlag war an mich im LSJML adressiert, handschriftlich und mit dem Vermerk »persönlich«. Neugierig nahm ich ihn in die Hand und schlitzte ihn auf.
Auf einem einzelnen Blatt Papier stand ebenfalls handschriftlich nur eine einzige Zeile.
Va-t'en chez toi, maudite Américaine!!
Geh nach Hause, verdammte Amerikanerin!! Unterschrieben hatte der Verfasser nicht. Was für eine Überraschung.
Ich betrachtete den Umschlag. Örtlicher Poststempel. Kein Absender.
»Danke für die Fürsorge, du Hirnamputierter.«
Ich warf den Brief samt Umschlag wieder auf den Stapel und ging über den Gang in mein Labor.
Und blieb wie angewurzelt stehen.
20
Auf jedem meiner vier Arbeitsplätze lagen Knochen. Abblätterungen und Verkrümmungen deuteten auf Jahre des Verfalls hin.
»Was zum -« Gemurmelt. »Bonjour, Doc. «
Ich drehte mich um.
Joe wusch sich am Waschbecken die Hände. »Bienvenue. « Willkommen zu Hause, du mich auch.
»Was ist das?« Ich deutete mit der Hand auf die beiden zentralen Tische.
»Ossements. « Grinsend.
»Offensichtlich sind das Knochen.« Es kam schärfer heraus als geplant. Oder auch nicht. »Wer hat sie so arrangiert?«
Das Grinsen verschwand. »Dr. Briel.«
»Mit wessen Erlaubnis?«
Joe rührte sich nicht und sagte nichts. Hinter ihm floss Wasser aus dem Hahn und spritzte winzige Tropfen auf die Arbeitsfläche.
Ich ging zum nächstliegenden Knochenarrangement und blätterte durch die Papiere auf einem Klemmbrett.
Mein Fallformular. Meine Liste mit den Maßen. Mein Skelettdiagramm. Eine Anfrage von Hubert für eine osteologische Untersuchung.
Mein Hirn explodierte.
Die Tür flog mir so heftig aus der Hand, dass sie gegen die Arbeitsfläche knallte. Ich rannte am Aufzug vorbei und die Treppe hinunter.
Hubert walzte eben den Korridor hoch, eine Tasse in der einen Hand, die Post in
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