Das graue distinguierte Leichentuch: Roman
Sie seinen Etat übernehmen. Ich war natürlich hocherfreut, besonders jetzt, da der arme Gordon.« Er seufzte, als wollte er andeuten, daß seine Freude nicht ungemischt sei.
»Heute so, morgen so«, murmelte Dave. »Das geht einem ein bißchen auf die Nerven, Mr. Hagerty.«
»Wir arbeiten eben in einer verrückten Branche! Aber ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie sehr ich mich freue, Dave. Noch nie in meinem Leben war ich so froh darüber, daß ich mich getäuscht hatte.«
Dave musterte ihn scharf. Das Lächeln auf den Lippen Hagertys war ein wenig unsicher, sein Mund gestrafft. War Homer Hagertys Freude wirklich so groß?
»So also sieht es jetzt aus, Dave. Und um allen Groll zu beseitigen, werde ich Sheplow beauftragen, Ihnen die Sache ein wenig schmackhaft zu machen. Sie dürfen mit weiteren zwei Riesen jährlich rechnen. Wenn man die Steuern berücksichtigt, wird nicht viel dabei herausschauen, aber vielleicht reicht es für einige Sandwiches.«
Langsam stand er auf und ging zur Tür. Dann drehte er sich noch einmal um.
»Da wir von unserem Foto-Modell sprachen, Dave – wir sind morgen früh mit ihm verabredet. Er möchte ein Resümee der Marktanalyse hören. Okay?«
»Natürlich«, erwiderte Dave Robbins.
Die nächste halbe Stunde blieb er an seinem Schreibtisch sitzen und versuchte, sich in der neuen Lage zurechtzufinden. Der plötzliche Umschwung hatte ihn dermaßen durchgerüttelt, daß der Tod Gordon Taits nicht einmal ein gebührendes Gefühl der Trauer oder des Verlustes in ihm wachzurufen vermochte. Er befand sich, um die Wahrheit zu sagen, in äußerst gehobener Stimmung.
Louise rief an. »Die Gräfin am Apparat.«
Dave drückte auf den Plastikknopf, der die Verbindung herstellte.
»David? Raten Sie mal, wer bei mir im Büro ist.«
»Das kann ich nicht erraten, Frau Gräfin.«
»Ach, Sie sind dumm! Sonja. Ich habe sie überredet, den Tag in der Stadt zu verbringen, und was glauben Sie, was passiert ist? Ein lieber Freund des Hauses hat uns zwei Karten für Herz in Not geschenkt. Sie wissen doch, wie unmöglich es ist, Plätze zu bekommen.«
»Ich habe davon gehört. Hoffentlich amüsieren Sie sich gut, Frau Gräfin.«
»Nein, nein, ich kann nicht einmal daran denken hinzugehen. Ich habe heute abend eine Aufsichtsratssitzung. Es würde mich freuen, wenn Sie die liebe Sonja begleiten könnten.«
»Ich bin leider auch verhindert. Wir sind morgen mit Burke verabredet und –«
»Reden Sie mir doch nicht ein, daß Sie die Nacht durch arbeiten müssen. Das glaube ich Ihnen ganz einfach nicht, David. Außerdem würde Sonja untröstlich sein, wenn Sie ablehnten.« Ihre Stimme wurde ganz geziert. »Wissen Sie, ich habe den leisen Verdacht, daß Sonja Sie recht gut leiden kann.«
»Ausgeschlossen, Frau Gräfin. Vielleicht ein andermal.«
Eine Pause. Dave wußte, daß sie innerlich schäumte. Aber daran lag ihm nichts mehr. Er betrachtete Burkes Foto und kam sich stark vor.
Als sie sich wieder meldete, war ihre Stimme von einer tödlichen Gelassenheit.
»Hatten Sie vor, heute nachmittag zu mir zu kommen? Wegen der Verträge mit Cincinnati?«
»Ich dachte, zum Wochenende –«
»Zum Wochenende werde ich nicht verfügbar sein. Ich halte es für besser, wenn Sie heute nachmittag herkommen.«
»Gut«, erwiderte Dave kurz. »Um zwei bin ich bei Ihnen.«
Während der ganzen Fahrt nach Long Island City drückte er sich mit finsterer Miene in eine Ecke des Taxis. Als er die Fabrik betrat, begrüßte ihn Jörgensen freundlich auf der Eisentreppe, die zum Stockwerk mit den Direktionsräumen hinaufführte, aber er antwortete nur mit einem Grunzen. Vor dem Büro der
Gräfin blieb er stehen, um sich für die mißliche Laune seiner Kundin und die Begegnung mit Sonja zu stärken.
In beiden Punkten irrte er sich. Sonja war nicht anwesend und die Gräfin von peinlicher Liebenswürdigkeit.
»Nehmen Sie Platz, David. Ich habe Sie vorige Woche vermißt.«
»Es ging recht hektisch zu, Frau Gräfin. Sie haben wohl von Gordon Taits Tod gehört.«
»Ach ja. Mein armer Mann ist an dem gleichen Leiden gestorben.« Dann lächelte sie. »Aber sprechen wir von angenehmeren Dingen. Sonja war begeistert, als ich ihr von heute abend erzählte. Ich finde, es wäre nett, wenn Sie mit ihr essen gingen. Ich habe mir erlaubt, einen Tisch bei ›Voisin‹ zu bestellen. Man erwartet Sie dort um sieben Uhr. Und bitte, David, ärgern Sie sich nicht über eine dumme alte Gräfin, aber ich habe die Rechnung im vorhinein
Weitere Kostenlose Bücher