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Das Grauen im Museum

Das Grauen im Museum

Titel: Das Grauen im Museum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
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nach Einbruch der Dunkelheit, aber auch tagsüber nicht, wenn es sich irgend vermeiden läßt. Daher wußte ich gleich, daß Sie ein Fremder sein mußten.
    Warum ich hier geblieben bin? Ich kann Ihnen unmöglich die ganze Wahrheit sagen. Das hängt zu sehr mit Dingen zusammen, die mit Vernunft und Realität nur wenig zu tun haben. Es wäre vielleicht nicht so gekommen, wenn ich das Bild nicht angesehen hätte. Ich hätte dem Rat meines Sohnes folgen sollen. Ich hatte auch wirklich vor, es zu verbrennen, als ich eine Woche nach den schrecklichen Ereignissen in das verschlossene Atelier ging, aber dann sah ich es mir doch vorher an — und das änderte alles.
    Nein, es hätte keinen Zweck, Ihnen zu sagen, was ich sah. Sie werden es nachher mit eigenen Augen sehen können; allerdings haben Zeit und Feuchtigkeit ihre Spuren hinterlassen. Ich glaube, Ihnen kann es nichts schaden, einen Blick darauf zu werfen, aber bei mir war es etwas anderes. Ich wußte zu gut, was das alles zu bedeuten hatte.
    Denis hatte recht gehabt es war der größte Triumph menschlicher Kunst seit Rembrandt, obwohl das Werk unvollendet geblieben war. Ich erkannte das sofort, und ich wußte, daß der arme Marsh seine dekadente Philosophie gerechtfertigt hatte. Er war für die Malerei, was Baudelaire für die Dichtung gewesen war, und Marceline war der Schlüssel gewesen, der diese innerste Schatzkammer des Genies aufgeschlossen hatte.
    Ich war im ersten Moment wie betäubt, als ich den Vorhang wegzog, obwohl ich da noch nicht einmal die Hälfte davon erfaßt hatte. Es ist nur zum Teil ein Porträt, müssen Sie wissen. Marsh hatte schon ziemlich viel verraten, als er andeutete, daß er nicht allein Marceline malte, sondern das, was er durch sie und über sie hinausschaute.
    Natürlich war sie auf dem Bild zu sehen, war in gewissem Sinne der Schlüssel zum Verständnis des Werkes, aber ihre Gestalt bildete nur einen Fixpunkt in einer ungeheuren Komposition. Sie war nackt, bis auf dieses schauerliche Haargespinst, das sie umwob, und saß halb hingelehnt auf einer Art Diwan, in dessen Holz Muster geschnitzt waren, die keiner bekannten Stilepoche entstammten. In der einen Hand hielt sie einen monströs geformten Trinkbecher, aus dem sie eine Flüssigkeit ausgoß, deren Farbe ich bis zum heutigen Tage weder zu benennen noch zu beschreiben vermöchte; ich kann mir nicht einmal denken, wo Marsh die Pigmente dafür aufgetrieben hatte.
    Die Figur und der Diwan nahmen den linken Vordergrund einer Szene ein, die seltsamer war als alles, was ich je im Leben gesehen hatte. Ich glaube, man hätte sagen können, dies alles sei dem Gehirn der Frau entsprungen, aber auch die entgegengesetzte Deutung wäre möglich gewesen daß sie selbst nur ein aus dieser Szene geborenes unheilvolles Bild, eine Art Halluzination sei.
    Ich kann Ihnen nicht sagen, ob das Bild einen Innenraum oder eine Außenansicht darstellt, ob diese höllischen Zyklopengewölbe von außen oder von innen zu sehen sind, ob sie tatsächlich aus behauenen Steinen sind oder nicht vielmehr nur ekle, pilzartige Wucherungen. Die Geometrie des Ganzen ist absolut verrückt, man bringt ständig die spitzen und stumpfen Winkel durcheinander.
    Und dann, mein Gott! Die Nachtmahrgestalten, die in diesem ewigen dämonischen Zwielicht umherschweben. Die lästerlichen Kreaturen, die lauern und lüstern feixen und mit der Frau als Hohepriesterin einen Hexensabbat aufführen! Die schwarzen, zottigen. Wesen, die nur von fern Ziegen ähneln, das krokodilköpfige Untier mit den drei Beinen und der dorsalen Reihe von Tentakeln, die plattnasigen Aegipanen, die in einem Muster tanzen, das ägyptische Priester kannten und verfluchten!
    Aber die Szene war nicht ägyptisch, sie reichte hinterÄgypten zurück, hinter Atlantis sogar, hinter das sagenhafte Mu und das mythenumwobene Lemuria. Es war der letzte Urquell allen Entsetzens auf dieser Erde, und die Symbolik machte nur allzu deutlich, wie eng dies alles mit Marceline verknüpft war. Ich glaube, es muß das unaussprechliche R’Lyeh sein, das nicht von Wesen unseres Planeten erbaut wurde, das Reich, von dem Marsh und Denis nur im Schatten und mit gedämpfter Stimme sprachen. Auf dem Bild sieht es so aus, als liege die ganze Szene tief unter Wasser, obwohl andererseits alle normal zu atmen scheinen.
    Nun, ich konnte nichts anderes tun als schauen und schauen, und schließlich bemerkte ich, daß Marceline mich listig aus diesen monströsen, geweiteten Augen auf der Leinwand

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