Das Grauen im Museum
plötzlich einfiel, daß die Nacht schon fortgeschritten war und die Diener am Morgen zurückkehren würden. Es lag auf der Hand, daß ich die Vorgänge nie würde erklären können, und ich wußte, daß ich alles vertuschen und eine halbwegs plausible Geschichte erfinden mußte. Dieser schlangenhafte Haarzopf, der sich um Marshs Körper gewickelt hatte, war eine Monstrosität. Als ich vorsichtig mit einem Schwert nach ihm stach, das ich von der Wand genommen hatte, schien es mir fast, als schnürte er sich noch fester um den Toten. Ich wagte nicht, ihn zu berühren, und je länger ich ihn ansah, um so schrecklichere Dinge fielen mir an ihm auf. Etwas daran jagte mir schieres Entsetzen ein. Ich werde Ihnen nicht sagen, was es war, aber es erklärte zumindest teilweise, warum das Haar mit seltsamen ölen genährt werden mußte, wie Marceline es immer getan hatte.
Ich beschloß, alle drei Leichen im Keller zu begraben mit ungelöschtem Kalk, der, wie ich wußte, in unserem Lagerhaus vorrätig war. Es wurde eine Nacht höllischer Anstrengung für mich. Ich schaufelte drei Gräber aus — das für meinen Jungen weit weg von den anderen beiden, denn er sollte nicht neben dem Körper dieser Frau oder ihrem Haar seine letzte Ruhestätte finden. Es tat mir leid, daß ich den armen Marsh nicht von der schwarzen Spirale befreien konnte. Ich mußte übermenschliche Kräfte aufbringen, um sie alle in den Keller zu schaffen. Die Frau und den bedauernswerten Marsh schleifte ich in Decken hinunter. Dann mußte ich zwei Fässer Kalk aus dem Lagerhaus holen. Gott muß mir die nötigen Kräfte verliehen haben, denn es gelang mir nicht nur, den Kalk hinüberzuschaffen, sondern auch, die drei Gräber bis obenhin damit zu füllen. Mit einem Rest des Kalks setzte ich Tünche an. Ich mußte mir eine Trittleiter holen und die Decke des Salons neu streichen, wo das Blut durchgesikkert war, und ich verbrannte fast alles aus Marcelines Zimmer und säuberte Wände, Fußboden und die schweren Möbel. Ich säuberte auch das Atelier im Dachgeschoß und beseitigte die Spuren, die dorthin führten. Die ganze Zeit über konnte ich in der Ferne Sophys klagenden Singsang hören. Die Alte mußte vom Teufel besessen sein, denn sonst hätte ihr längst die Stimme versagen müssen. Aber man war das von ihr gewöhnt. Das war auch der Grund, warum die Nigger auf den Feldern in dieser Nacht weder Angst bekamen noch neugierig wurden. Ich schloß das Atelier ab und verwahrte den Schlüssel in meinem Zimmer. Dann verbrannte ich alle meine verschmutzten Kleider im Kamin. Als der Morgen anbrach, sah das Haus wieder ganz normal aus. Ich hatte nicht gewagt, die verhängte Staffelei anzurühren, wollte mich aber später darum kümmern.
Nun, die Diener kamen am nächsten Tag zurück, und ich erzählte ihnen, die jungen Leute seien alle drei nach St. Louis gefahren. Von den Negerarbeitern hatte offenbar keiner etwas gesehen oder gehört, und die alte Sophonisba hatte bei Sonnenaufgang ihren Singsang eingestellt. Von diesem Tag an war sie wie eine Sphinx und ließ nie ein Wort darüber fallen, was in jener Nacht ihr brütendes Hexengehirn beschäftigt hatte.
Später behauptete ich, Denis und Marsh und Marceline seien wieder nach Paris zurückgekehrt, und ließ mir durch eine Agentur Briefe von dort zuschicken, Briefe, die ich selbst in gefälschten Handschriften abgefaßt hatte. Ich mußte allerlei Lügen und Geschichten erfinden, um verschiedenen Freunden und Bekannten die Sache plausibel zu machen, und ich weiß, daß man insgeheim den Argwohn hegte, es gebe da etwas, was ich verschweigen wolle. Während des Krieges ließ ich verbreiten, Marsh und Denis seien an der Front gefallen, und später behauptete ich, Marceline sei ins Kloster gegangen. Zum Glück hatte Marsh keine Eltern mehr gehabt und sich durch sein exzentrisches Wesen seinen Verwandten in Louisiana entfremdet. Es hätte für mich alles wesentlich besser ausgehen können, wenn ich so vernünftig gewesen wäre, das Bild zu verbrennen, und die Plantage zu verkaufen, anstatt zu versuchen, sie trotz meines angegriffenen körperlichen und geistigen Zustands weiter zu führen. Sie sehen ja selbst, wohin mich meine Torheit gebracht hat. Es gab Mißernten. Ich mußte die Arbeiter einen nach dem anderen entlassen, das Haus begann zu verwahrlosen, und ich selbst wurde zu einem Sonderling, über den man sich in der Umgebung die seltsamsten Geschichten erzählt. Heute kommt kaum noch jemand hierher, vor allem nicht
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