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Das Grauen im Museum

Das Grauen im Museum

Titel: Das Grauen im Museum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
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gingen ständig zwei Indianer um, die abwechselnd erschienen. Ein alter Mann, der vom Morgengrauen bis zur Abenddämmerung auf dem Gipfel hin und her schritt, bei jedem Wetter, und nur zeitweise verschwand, sowie eine Squaw, die bei Nacht seinen Platz mit einer blauflammigen Fackel einnahm, die bis zum Morgen fast ständig zu sehen war. Bei hellem Mondschein konnte man die charakteristische Gestalt der Squaw recht deutlich sehen, und über die Hälfte der Dorfbewohner versicherten, die Erscheinung sei kopflos.
    Über die Motive und die relative Geisterhaftigkeit der zwei Visionen gingen die Meinungen im Dorf auseinander. Manche waren der Ansicht, bei dem Mann handle es sich überhaupt nicht um einen Geist, sondern um einen lebenden Indianer, der eine Squaw, auf deren Gold er es abgesehen hatte, getötet und enthauptet und irgendwo auf dem Hügel begraben hätte. Er müsse aus Reue über seine Untat immer wieder zu dem Hügel zurückkehren, magisch angezogen vom Geist seines Opfers, der nach Einbruch der Nacht sichtbare Gestalt annehme. Die andere Gruppe, deren Gespensterglaube einheitlicher war, vertrat dagegen die Ansicht, sowohl der Mann als auch die Frau seien Geister; der Mann habe vor langer Zeit sowohl die Squaw als auch sich selbst getötet. Diese beiden Versionen sowie geringfügige Abwandlungen davon waren offenbar landläufig, seit die Gegend um Wichita im Jahre 1889 besiedelt worden war, und sie wurden, so sagte man mir, immer wieder durch eine erstaunliche Anzahl noch existierender Phänomene bestätigt, die jeder selbst beobachten könne. Diese Möglichkeit besteht nicht bei vielen Geistergeschichten, und deshalb war ich natürlich gespannt, auf welche bizarren Wunder ich in diesem kleinen, entlegenen Dorf stoßen würde, so weit abseits der eingetretenen Pfade der Menge und dem unbestechlichen Forscherblick der Wissenschaft weitgehend entzogen. So stieg ich denn im Spätsommer des Jahres 1928 in einen Zug nach Binger und grübelte über sonderbare Mysterien nach, während der Zug auf seiner eingleisigen Strecke zaghaft durch eine immer einsamer werdende Landschaft ratterte.
    Binger ist eine recht bescheidene Ansammlung von Holzhäusern und Läden mitten in einer flachen, windigen Gegend voller roter Staubwolken. Der Ort hat neben den Indianern in einem benachbarten Reservat etwa fünfhundert Einwohner, die sich offenbar zum größten Teil von der Landwirtschaft ernähren. Der Boden ist einigermaßen fruchtbar, und der ölboom hat diesen Teil des Staates noch nicht erreicht. Der Zug kam in der Abenddämmerung an, und ich fühlte mich ziemlich verloren und unbehaglich abgeschnitten von allen vertrauten, alltäglichen Dingen -, als er ohne mich nach Süden weiterdampfte. Der Bahnsteig war voll von kuriosen Tagedieben, die sich alle danach drängten, mir Auskunft zu geben, als ich nach dem Mann fragte, für den ich ein Empfehlungsschreiben bei mir hatte. Man führte mich die in keiner Hinsicht bemerkenswerte Hauptstraße entlang, deren von Wagenspuren gefurchte Oberfläche rot von dem Sandsteinboden dieser Gegend war, und brachte mich zum Haus meines voraussichtlichen Gastgebers. Die Leute, denen ich die Empfehlung verdankte, hatten gute Arbeit geleistet, denn Mr. Compton war ein Mann von hoher Intelligenz und verantwortlicher Position in der Gemeinde, während seine Mutter, die bei ihm lebte und von allen »Oma Compton« genannt wurde, eine Angehörige der ersten Pioniergeneration und eine wahre Fundgrube für Anekdoten und Folklore war.
    Schon am ersten Abend gaben mir die Comptons einen Überblick über alle Legenden, die man sich im Dorf erzählte, und bestätigten mir, daß die Erscheinung, die ich untersuchen wollte, tatsächlich verblüffend und bedeutsam sei. Jedermann in Binger, so schien es, hatte sich mit der Existenz der Geister abgefunden. Zwei Generationen waren im Anblick dieses merkwürdigen, alleinstehenden Hügels und seiner rastlosen Gestalten geboren worden und aufgewachsen. Die Leute fürchteten und mieden natürlich die unmittelbare Umgebung des Hügels, so daß sich das Dorf und die Farmen in den vier Jahrzehnten seit der Besiedlung nicht in diese Richtung ausgebreitet hatten, doch hatten mehrmals beherzte Dorfbewohner den Hügel in Augenschein genommen. Manche hatten hinterher berichtet, sie hätten keinerlei Geister gesehen, als sie sich dem gefürchteten Hügel näherten, sondern die einsame Gestalt habe sich entfernt, bevor sie die Stelle erreichten, so daß sie unbehelligt den

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