Das Grauen im Museum
ihn jedesmal, wenn er in seiner spanischen Muttersprache schrieb, und dann wagte er nicht, alles niederzuschreiben. Vieles erregte auch nach langer Zeit noch seinen Abscheu, und es gab mancherlei, was er sich standhaft weigerte zu sehen, zu tun oder zu essen. In anderen Fällen verschaffte er sich dadurch einen Ausgleich, daß er zahlreiche Rosenkränze betete. Er erkundete die ganze Welt von K’n-yan, einschließlich der verlassenen Maschinenstädte der minleren Periode auf der mit Stechginster bewachsenen Ebene von Nith, und wagte auch einmal den Abstieg in die rot erleuchtete Welt von Yoth, um die zyklopischen Ruinen zu besichtigen. Er lernte atemberaubende Wunder der Technik kennen und wurde Zeuge menschlicher Metamorphosen, Entleibungen, Wiederverkörperungen und Wiederbelebungen, die ihn veranlaßten, sich immer wieder zu bekreuzigen. Mit der Zeit verlor er, angesichts der vielen neuen Wunder, die jeder Tag brachte, selbst seine Fähigkeit zur Bewunderung.
Aber je länger er dort war, um so stärker wünschte er sich, wieder fortgehen zu können, denn das Innere Leben von K’n-yan beruhte auf Impulsen, die ihm vollständig fremd waren. Je eingehender er sich mit der Geschichte von K’n-yan befaßte, um so mehr begriff er, doch das Verständnis vertiefte seinen Abscheu nur noch. Er kam zu der Überzeugung, daß die Menschen von Tsath eine verlorene und gefährliche Rasse seien, gefährlicher für sich selbst, als sie offenbar ahnten, und daß ihre fanatischen Versuche, die Langeweile zu bekämpfen und immer neue Sensationen zu finden, sie mit Riesenschritten auf einen Abgrund des Zerfalls und des äußersten Schreckens hintrieb. Sein Erscheinen, so erkannte er, hatte ihre Unruhe nur noch verstärkt, und zwar nicht nur dadurch, daß er ihre Furcht vor einer Invasion von außen neu angefacht hatte, sondern auch dadurch, daß er in vielen den Wunsch ausgelöst hatte, sich selbst einmal hinauszuwagen in diese bunte äußere Welt, die er ihnen beschrieb. Im Laufe der Zeit stellte er eine zunehmende Neigung der Menschen fest, sich nur zum Vergnügen zu entkörperlichen, so daß die Wohnungen und Amphitheater von Tsath zu einem wahren Hexensabbatt von Transmutationen, Altersänderungen, Todesexperimenten und Projektionen wurden. Mit der
wachsenden Langeweile und Unruhe, so erkannte er, ging ein zunehmendes Bedürfnis nach Grausamkeit, verfeinerten Sinnesreizen und gesellschaftlicher Auflehnung einher. Es gab immer mehr kosmische Abnormalität, immer mehr absonderlichen Sadismus, immer mehr Ignoranz und Aberglauben und ein immer größeres Verlangen, sich aus dem körperlichen Leben in einen immateriellen Zustand elektronischer Zerstreuung zu flüchten. Aber alle seine Versuche, K’n-yan zu verlassen, schlugen fehl. Bittenfruchteten nichts, wie wiederholte Ansätze bewiesen, obwohl die Angehörigen der Oberklasse, die sich keinerlei Illusionen mehr machten, zunächst keinen Unmut darüber erkennen ließen, daß der Gast unverhohlen seinen Wunsch äußerte, K’n-yan zu verlassen. In einem Jahr, das nach seiner Berechnung
1543 sein mußte, unternahm Zamacona tatsächlich den Versuch, durch den Gang zu entkommen, durch den er nach K’n-yan gelangt war, aber nach einer er-müdenden Wanderung über die verlassene Ebene stieß er in dem dunklen Gang auf Kräfte, die ihn ein für allemal von Vorstößen in dieser Richtung abbrachten. Um die Hoffnung nicht sinken zu lassen und das Bild der Heimat vor Augen zu behalten, begann er um diese Zeit, die ersten Entwürfe für das Manuskript zu machen, indem er seine Abenteuer erzählte; die geliebten alten spanischen Worte und die vertrauten Buchstaben des lateinischen Alphabets bereiteten ihm große Freude. Er gab sich der Hoffnung hin, das Manuskript irgendwie nach draußen schmuggeln zu können, und um es seinen Mitmenschen überzeugender erscheinen zu lassen, beschloß er, es in einen der Tulu-MetalIzylinder zu legen, wie sie für die heiligen Archive verwendet wurden. Dieser fremdartige magnetische Stoff, so meinte er, müßte der
unglaublichen Geschichte, die er zu erzählen hatte, zwangsläufig mehr Gewicht verleihen.
Aber schon während der Planung hatte er kaum Hoffnung, noch jemals Kontakt mit der Erdoberfläche aufnehmen zu können. Jedes bekannte Tor, das wußte er, wurde durch Personen und Kräfte bewacht, mit denen man sich besser nicht anlegte. Sein Fluchtversuch hatte seine Lage eher verschlimmert, denn nun stieß er auf wachsende Feindseligkeit gegenüber
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