Das Grauen im Museum
residierte. In einem Saal mit hohem Deckengewölbe und in Freskomanier mit schwindelerregenden Arabesken dekorierten Wänden wurde er in freundlichem Ton gründlich ausgefragt. Es war offenkundig, daß man im Hinblick auf historische Informationen über die äußere Welt viel von ihm erwartete, aber dafür sollten ihm auch alle Mysterien K’n-yans enthüllt werden. Der eine große Nachteil war die unausweichliche Bestimmung, daß er nie mehr in die Welt der Sonne und der Sterne, nie mehr in sein Spanien zurückkehren durfte.
Ein Tagesplan wurde für den Besucher aufgestellt, der verschiedene Arten von Tätigkeiten vorsah. So sollten Unterredungen mit Gelehrten an verschiedenen Orten stattfinden, und er sollte Unterricht in den verschiedenen Zweigen tsathischer Wissenschaft bekommen. Die Zeit für eigene Forschungen wurde großzügig bemessen, und alle säkularen und sakralen Bibliotheken von K’n-yan sollten ihm offenstehen, sobald er die Schriftsprache beherrschte. Er sollte an Riten und Schauspielen teilnehmen — es sei denn, er verzichtete ausdrücklich darauf —, und es würde ihm auch viel Zeit für die aufgeklärten Vergnügungen und emotionalen Reize bleiben, die im Alltagsleben der Leute von Tsath eine so beherrschende Rolle spielten. Man würde ihm ein Haus in einem Vorort oder eine Stadtwohnung zur Verfügung stellen und ihn in eine der großen Zuneigungsgruppen einführen, die im neuzeitlichen K’n-yan an die Stelle der Familien getreten waren und denen auch zahlreiche edle Damen von höchster, durch Kunst noch gesteigerter Schönheit angehörten. Mehrere gehörnte Gyaa-yothn würden ihm als Reittiere und für Botengänge zur Verfügung stehen, und zehn lebende Sklaven mit intaktem Körper würden ihm das Haus besorgen und ihn auf der Straße vor Dieben, Sadisten und religiösen Orgiasten beschützen. Es gebe zahlreiche mechanische Vorrichtungen, deren Bedienung er erlernen müsse, aber Gll’-Hthaa-Ynn würde ihm die wichtigsten davon unverzüglich erklären.
Nachdem er zu verstehen gegeben hatte, daß er eine Stadtwohnung einer Vorstadtvilla vorziehen würde, wurde Zamacona von den Stadtvätern höflich und feierlich verabschiedet und durch mehrere schluchtartige Straßen zu einem felsenähnlichen, unregelmäßigen Bauwerk mit etwa siebzig oder achtzig
Stockwerken geführt. Die Vorbereitungen auf seine Ankunft hatten bereits begonnen, und in einer geräumigen Parterre-Suite, deren Zimmer Deckengewölbe hatten, waren Sklaven damit beschäftigt, die Vorhänge und Möbel in Ordnung zu bringen. Da gab es Hocker in Lackund Einlegearbeit, Sitzecken in Samt und Seide und mit Teakund Ebenholz vertäfelte Wände mit zahllosen Fächern, in denen Metallzylinder mit einigen der Handschriften steckten, die Zamacona schon bald lesen sollte, Standard-Klassiker, die in jeder Stadtwohnung zur Einrichtung gehörten. Schreibtische mit dicken Stößen Membranpapier und Töpfe mit grüner Schreibfarbe standen in jedem Raum, dazu ein Satz Pinsel und andere Schreibgeräte. Auf verzierten goldenen Dreifüßen standen Schreibmaschinen, und Energiekugeln in der Decke tauchten alles in strahlend blaues Licht. Die Räume hatten Fenster, durch die jedoch, da die Wohnung im Erdgeschoß lag, kaum Licht hereinfiel. Einige der Zimmer waren mit großzügigen Bädern ausgestattet, und die Küche war ein einziges Labyrinth technischer Vorrichtungen. Die Versorgung mit Lebensmitteln erfolgte über ein Netz unterirdischer Gänge, das unter Tsath lag und früher mit seltsamen mechanischen Verkehrsmitteln befahren wurde. Im Untergeschoß lag auch ein Stall für die Tiere, und man zeigte Zamacona, wo die nächste Rampe zur Straße hinauf lag. Noch bevor die Besichtigung abgeschlossen war, trafen seine persönlichen Sklaven ein und wurden ihm vorgestellt, und etwas später erschienen etwa ein halbes Dutzend Herren und Damen aus seiner künftigen Zuneigungsgruppe, die ihm für mehrere Tage Gesellschaft leisten und nach Kräften zu seiner Unterrichtung und Unterhaltung beitragen sollten. Sobald sie ihn verließen, würde eine zweite Gruppe ihren Platz einnehmen, und so immer weiter, bis er die ganze, etwa fünfzig Mitglieder umfassende Gruppe kennen würde.
So wurde Panfilo de Zamacona y Nunez für vier Jahre ein Bewohner der unheimlichen Stadt Tsath in der blau erleuchteten unterirdischen Welt von K’n-yan. Es ist offenkundig, daß er nicht alles, was er erfuhr und sah, seinem Manuskript anvertraute, denn fromme Zurückhaltung überkam
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