Das Grauen lauert in der Tiefe
es so weit: Max konnte es nicht mehr länger aushalten und versuchte, Luft zu holen. Das kalte Meerwasser schwappte in seinen Mund, aber bevor es in seine Lungen eindrang, wurde er von einem starken Sog erfasst und direkt in das grelle Licht des Altstain-Turms gezerrt. So plötzlich, wie sie aufgetaucht war, verschwand die Gummirüstung aus seinem Blickfeld und mit ihr die überwältigende Angst, die sie in ihm ausgelöst hatte.
Maxwell schlug wild um sich und kämpfte gegen den Sog an, der ihn gegen das Kuppelglas des Turms zu werfen drohte. Doch auf einmal berührte etwas sein Gesicht, das sich wie ein Schwamm anfühlte, und in seinen Ohren ertönte ein schmatzendes Knacken. Er hatte das Gefühl, dass ihn etwas Warmes, Weiches umschloss und aus dem Wasser zog.
Maxwells Lungen füllten sich mit Luft und kurz da rauf hörte er die Stimme seiner Mutter: »Entweder ist das Personal hier noch unzuverlässiger als in New York oder du bist in den letzten Stunden noch ungezogener geworden.«
Max war so überrascht, dass es ihm die Sprache verschlug. Er blinzelte, doch sehen konnte er nichts. Vor seinen Augen tanzten Sterne.
»Da muss ich deiner Mutter zustimmen. Geht ins Haus zurück und wartet auf unsere Rückkehr ist eigentlich eine ziemlich genaue Anweisung, die wenig Spielraum für Interpretationen bietet«, sagte sein Vater. »Und wo sind Mafalda und der Junge aus der Nachbarschaft? Wie war noch gleich sein Name?«
»Tom«, krächzte Max. Seine Stimme hörte sich ziemlich heiser an.
»Dort kommen sie«, sagte jemand. »Der Sauger hat sie gerade eingefangen.«
Es war Mr Crimer, der gesprochen hatte. Max fühlte sich sofort wieder unbehaglich. Kurz wünschte er sich sogar ins Meer zurück – dann allerdings glaubte er, seinen Ohren nicht zu trauen, denn der Bürgermeister ergriff Partei für ihn.
»Ich denke nicht, dass wir den Kindern Vorwürfe machen sollten«, sagte Mr Crimer. »Ich kann mir zwar auch nicht erklären, warum sie hier plötzlich im Meer herumschwimmen, aber hinter all dem stecken ganz bestimmt die Unruhestifter, wenn nicht sogar der schreckliche Mr Nin höchstpersönlich. Wenn etwas Schlimmes passiert, ist er meistens daran schuld, darauf kann man seine Geldbörse verwetten.«
Max richtete sich auf und öffnete erneut die Augen. Diesmal konnte er seine Umgebung erkennen. Er saß auf einer schmalen Pritsche und schaute auf die Rücken von Mr Crimer und seinen Eltern.
Dann sah er Mafalda und Tom, die von einem mechanischen Menschen getragen wurden. Er sah aus wie ein Hafenarbeiter und hatte wesentlich breitere Reifen als ihr Butler in Dunham Hall.
»Da kommt Kumpel 5000 mit den beiden anderen«, bemerkte Mr Crimer.
Max stand auf. Seine Sachen waren wundersamerweise bereits getrocknet, aber er roch wie ein Seestern. Sein Blick glitt durch den Raum, der eine gläserne Wand hatte, durch die man in den Ozean schauen konnte wie in ein Aquarium. In der Mitte der Glaswand befand sich eine Art Greifarm mit einer Saugglocke. Scheinbar war es mit dieser Vorrichtung möglich, Gegenstände, Meerestiere oder auch schiffbrüchige Kinder aus dem Ozean zu ziehen.
Neugierig musterte Max die große Saugglocke, die sich wie ein Rüssel in den Ozean erstreckte. Das ganze Gebilde wurde von einem weiteren mechanischen Menschen gesteuert, der so ähnlich aussah wie Kumpel 5000. Max stellte sich auf die Zehenspitzen. Diesem merkwürdigen Gerät hatte er also sein Leben zu verdanken. Aber wo waren Henriette und Beethoven? Und wo war die unheimliche Gummirüstung? Von ihnen fehlte jede Spur. Ob alles nur ein Traum gewesen war? Vielleicht hatte dieser grüne Rauch in der Bibliothek von Professor Hardenberg bei ihm so etwas wie Visionen hervorgerufen und er hatte sich das alles nur eingebildet: den Brand, die Fahrt in dem komischen Kübelwagen voller Stoffbahnen, die Mutantengreifer, die sie verfolgt hatten, und die Flucht aus der Stadt mit dem selbst gebastelten Unterseeboot. Aber wenn alles nur eine Halluzination gewesen war, wie waren sie dann ins Meer gelangt?
Max schüttelte den Kopf. Dabei sah er den Zipfel von Henriettes kariertem Taschentuch, der aus Toms Jacketttasche herausschaute. Und er sah noch etwas anderes: Im Hosenbund von Mr Crimer steckte ein eckiger kleiner Kasten mit einem Stab, an dessen Ende eine rote Kugel hin und her schwang. Es war das gleiche Gerät, in das der Mutantengreifer mit der Kreissägenhand vor Henriettes Hütte gesprochen hatte. Sofort wurde Max klar, in welcher Gefahr sie sich
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