Das Graveyard Buch
rümpfte nur die Nase.
»Ich bin von weit her gekommen, um mich um dich zu kümmern, Junge. Ich hoffe, du bist es wert.«
Bod fand es unvorstellbar, Silas zu umarmen. Also streckte er ihm nur die Hand hin und Silas beugte sich vor und drückte Bods kleine Patschhand mit seiner gr o ßen blassen Männerhand. Dann griff er nach seiner schwarzen Ledertasche, als hätte sie überhaupt kein G e wicht, und marschierte hinunter bis zur Pfo r te und dann aus dem Friedhof hinaus.
Bod erzählte es seinen Eltern.
»Silas ist weg«, sagte er.
»Der kommt wieder, ganz sicher«, sagte Mr Owens fröhlich. »Zerbrich dir darüber nicht den Kopf, Bod. – Wie das Amen in der Kirche, so sagt man doch.«
Und Mrs Owens fügte hinzu: »Als du geboren bist, hat er uns versprochen, dass er, wenn er den Friedhof verla s sen muss, jemanden finden wird, der dich an seiner Stelle mit Essen versorgt und der ein Auge auf dich hat. Und das hat er getan, man kann sich auf ihn verlassen.«
Schon wahr, Silas hatte Bod jede Nacht etwas zu essen gebracht und es in der Krypta gelassen, doch das war in Bods Augen das Geringste, was er für ihn getan hatte. Silas gab ihm guten, verständlichen und stets treffenden Rat; er wusste überhaupt mehr als die Friedhofsleute. Die kannten nur die Welt von vor mehreren Hundert Jahren, er aber hatte dank seiner nächtlichen Ausflüge nach draußen ein genaues Bild von der Welt, wie sie jetzt war. Er war unerschütte r lich und verlässlich, er war jede Nacht da gewesen, seit Bod lebte. Deshalb konnte Bod sich die Frie d hofskapelle ohne ihren einzigen Bewohner nur schwer vorstellen; und vor allem hatte Silas ihm ein Gefühl von Sicherheit gegeben. Auch Miss Lupescu sah ihre Aufgabe nicht nur darin, Bod etwas zu essen zu bri n gen. Das tat sie allerdings auch.
»Was ist das?«, fragte Bod entsetzt.
»Etwas Gutes zu essen«, sagte Miss Lupescu. Sie hatte zwei Plastikbehälter auf den Tisch der Krypta gestellt und hob die Deckel hoch. Sie zeigte erst auf den einen Behälter: »Ist Graupensuppe mit Rote B e te«, dann auf den anderen: »Ist Salat. Jetzt iss, beides, ich machen für dich.«
Bod starrte zu ihr hoch, um herauszufinden, ob das Ganze vielleicht ein Scherz war. Das Essen, das Silas mitgebracht hatte, war meistens verpackt und stammte aus Läden, in denen man auch spätnachts einkaufen konnte, ohne dass jemand fragte. Noch nie hatte jemand ihm Essen in Plastikbehältern mit e i nem Deckel darauf mitgebracht. »Es riecht schrec k lich«, sagte er.
»Wenn du die Graupensuppe nicht gleich isst«, sagte Miss Lupescu, »wird sie noch schrecklicher. Sie wird kalt. Iss jetzt also.«
Bod war hungrig. Er nahm einen Plastiklöffel, tunkte ihn in die purpurrote Suppe und aß. Die Su p pe war schleimig und ungewohnt, aber er behielt sie unten.
»Und jetzt den Salat!«, sagte Miss Lupescu und en t fernte den Deckel von dem zweiten Behälter. Dieser en t hielt große Brocken roher Zwiebel, Rote Bete und Tom a ten, alles in dickflüssiger Essigmarinade. Bod nahm ein Stück Rote Bete in den Mund und b e gann zu kauen. Er merkte, wie sich Speichel in seinem Mund ansammelte, und wusste, wenn er es schluckte, würde er sich überg e ben müssen. Er sagte: »Ich kann das nicht essen.«
»Ist gut für dich.«
»Mir wird aber schlecht.«
Sie sahen sich an, der kleine Junge mit dem wirren mausgrauen Haar und die verkniffene blasse Dame, bei der jedes Silberhaar an seinem Platz lag. »Du isst noch ein Stück«, befahl Miss Lupescu.
»Ich kann nicht.«
»Du isst noch ein Stück oder du bleibst so lange hier, bis du alles aufgegessen hast.«
Bod fischte ein Stück essiggetränkte Tomate heraus, kaute es und würgte es hinunter. Miss Lupescu drückte die Deckel auf die Plastikbehälter und ve r staute sie in der Einkaufstüte. Sie sagte: »Jetzt Schu l stunden.«
Es war Hochsommer, richtig dunkel würde es erst g e gen Mitternacht werden. In dieser Jahreszeit fand kein Unterricht statt, Bod verbrachte diese warmen hellen Sommernächte mit Spielen, Klettern und Herumstr o mern.
»Schulstunden?«, fragte er erstaunt.
»Dein Vormund war der Ansicht, es könnte nichts schaden, wenn ich dir ein paar Sachen beibringe.«
»Ich habe Lehrer. Letitia Borrows bringt mir lesen und schreiben bei und Mr Pennyworth unterrichtet mich nach dem Kompendium für den jungen Gentleman nebst z u sätzlichen Lektionen für die Verstorbenen. Ich habe auch Erdkunde und so. Ich brauche nicht noch mehr Unte r richt.«
»Du weißt also
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