Das grobmaschige Netz - Roman
wissen Sie ganz genau. Ich kann mich nicht erinnern, was passiert ist.«
»Das ist mir schon klar, gerade deshalb müssen wir alles noch einmal durchgehen. Ihre Erinnerung wird erst dann wieder zurückkommen, wenn Sie versuchen, diese Nacht Stück für Stück zu rekonstruieren ... ohne Wenn und Aber. Oder sind Sie anderer Ansicht?«
»Wofür halten Sie mich eigentlich? Was glauben Sie wohl, womit ich mich hier in diesem Loch beschäftige?«
Eine vage Wut nahm langsam Gestalt an. Der Anwalt wich Mitters Blick aus und schrieb etwas auf seinen Block.
»Was schreiben Sie da eigentlich?«
»Bedaure.«
Der Anwalt schüttelte abwehrend den Kopf. Zog dann ein Taschentuch hervor und putzte sich lautstark die Nase.
»Ekelhaftes Wetter«, sagte er.
Mitter nickte.
»Ich möchte, dass Sie verstehen«, sagte der Anwalt dann, »wie prekär Ihre Lage ist. Sie behaupten, unschuldig zu sein, aber Sie erinnern sich nicht ... das ist kein solides Fundament für eine Verteidigung, das sehen Sie sicher ein.«
»Die Anklage muss beweisen, dass ich schuldig bin. Das Gegenteil unter Beweis zu stellen, ist doch wohl nicht meine Aufgabe, oder was?«
»Natürlich nicht. So lautet das Gesetz, aber ...«
»Aber?«
»Wenn Sie sich nicht erinnern, dann erinnern Sie sich eben
nicht. Es wird ziemlich schwer sein, eine Jury zu überzeugen ... Versprechen Sie mir, mir sofort Bescheid zu sagen, wenn Ihnen etwas einfällt?«
»Natürlich.«
»Egal was?«
»Sicher...«
»Dann weiter. Wie lange kannten Sie Eva Ringmar schon?«
»Zwei Jahre ... knapp zwei Jahre ... seit sie zu uns an die Schule gekommen ist.«
»Was unterrichten Sie?«
»Geschichte und Philosophie. Vor allem Geschichte, Philosophie ist ja nur ein Wahlfach.«
»Wie lange sind Sie schon an dieser Schule?«
»Ungefähr zwanzig Jahre ... ja, neunzehn.«
»Und Ihre Frau?«
»Fremdsprachen... seit zwei Jahren, wie gesagt.«
»Wann hat Ihre Beziehung angefangen?«
»Vor sechs Monaten. Wir haben diesen Sommer geheiratet, Anfang Juli.«
»War sie schwanger?«
»Nein. Wieso...?«
»Haben Sie Kinder, Herr Mitter?«
»Ja. Einen Sohn und eine Tochter.«
»Wie alt?«
»Zwanzig und sechzehn. Sie wohnen bei ihrer Mutter in Chadow ...«
»Wann haben Sie sich von Ihrer ersten Frau scheiden lassen?«
»1980. Jürg hat bis zum Abitur bei mir gewohnt. Ich verstehe nicht, wieso das wichtig ist ...«
»Ihr Hintergrund. Ich muss Ihren Hintergrund kennen lernen, und Sie müssen mir dabei behilflich sein. Wie ist Ihr Verhältnis zu Ihrer geschiedenen Frau?«
»Das existiert nicht.«
Sie schwiegen eine Weile. Der Anwalt putzte sich wieder die Nase. Offenbar passte ihm hier irgendetwas nicht, aber Mitter hatte keine Lust, ihm auf die Sprünge zu helfen ... Irene hatte mit dieser Sache nichts zu tun. Jürg und Inga auch nicht. Er war dankbar dafür, dass alle drei vernünftig genug gewesen waren, sich nicht einzumischen. Sie hatten natürlich von sich hören lassen, aber nur am ersten Tag, seither hatte Schweigen geherrscht. An diesem Morgen war zwar ein Brief von Inga gekommen, aber der hatte nur aus zwei Zeilen bestanden. Es war eine Solidaritätserklärung.
Wir halten zu dir.
Inga und Jürg.
Er fragte sich, ob das wohl auch für Irene galt. Hielt sie auch zu ihm? Aber vielleicht war das ja egal.
»Wie war Ihre Beziehung?«
»Entschuldigung?«
»Ihre Ehe mit Eva Ringmar. Wie war die?«
»Wie Ehen so sind.«
»Was soll das heißen?«
». . .«
»Haben Sie sich gut verstanden, oder gab es oft Streit?«
». . .«
»Sie waren doch erst seit drei Monaten verheiratet.«
»Ja, das stimmt.«
»Und dann finden Sie Ihre Frau tot in der Badewanne. Begreifen Sie nicht, dass wir eine Erklärung finden müssen?«
»Doch.«
»Begreifen Sie auch, dass Schweigen hier nichts bringt? Ihr Schweigen wird so ausgelegt werden, dass Sie etwas verheimlichen. Und das wird dann gegen Sie verwendet.«
»Das kann ich mir vorstellen.«
»Haben Sie Ihre Frau geliebt?«
»Ja...«
»Gab es Streit?«
»Selten ...«
Rüger notierte.
»Der Staatsanwalt wird auf Mord plädieren. Diese Ansicht vertreten auch der Pathologe und die Spurensicherung ... wir werden nicht beweisen können, dass sie eines natürlichen Todes gestorben ist. Die Frage ist, ob sie Selbstmord begangen haben kann.«
»Ja, das nehme ich an.«
»Was nehmen Sie an?«
»Dass das die entscheidende Frage ist ... ob sie es selber getan haben kann.«
»Vielleicht. An diesem Abend ... wie viel haben Sie da
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