Das grobmaschige Netz - Roman
inzwischen schon zu Hause sein würde. Er gestand sich auch ein, dass er keine besonders große Lust hatte, an diesem Abend noch vierhundert Kilometer
zurückzulegen. Höchstens noch eine Stunde, dann ein Motel, ein Anruf bei Münster und ein gutes Essen. Ein großes Stück Fleisch und etwas Cremiges mit Knoblauch, darauf würde es wohl hinauslaufen.
Und einen schweren Wein.
Er suchte in den Kassetten auf dem Beifahrersitz. Fand Vaughan Williams und schob ihn in den Rekorder.
32
Liz Hennan hatte Angst.
Erst nachdem sie ausgiebig geduscht und eine halbe Stunde im dunklen Zimmer wach gelegen hatte, erkannte sie, dass wirklich genau das der Fall war.
Denn solche Ängste überkamen sie wirklich nicht besonders oft. Als sie dalag und die Digitaluhr anstarrte, die die roten Minuten der Nacht ausspuckte, versuchte sie, sich an dieses Gefühl zu erinnern.
Wann hatte sie zuletzt Angst gehabt? Solche Angst?
Es musste lange her sein, das stand fest.
Vielleicht musste sie bis in ihre Teenagerzeit zurückgehen. Inzwischen war sie sechsunddreißig Jahre alt, und natürlich hatte sie sich zwischendurch bisweilen gefürchtet. Oft genug sogar, aber hatte sie daraus nicht gelernt? War geläutert und klug geworden?
Sie hatte keine Angst vor dem Leben. Man wurde zwar nicht immer auf Rosen gebettet, aber das hatte sie ja auch nie erwartet. Und wenn ihre Mutter ihr überhaupt etwas hatte einschärfen können, dann das.
Es gab solche Männer und eben solche. Und ab und zu erwischte eine Frau den falschen. Aber es gab immer einen Ausweg, darauf kam es an. Wenn sie einen Fehlgriff getan hatte oder an einen Mistkerl geraten war, dann musste sie eben
von vorn anfangen. Ihn vor die Tür setzen und sich nach dem nächsten umschauen.
So war das, und so hatte sie es ihr Leben lang gehalten. Es gab schöne Momente, und es gab weniger schöne. That’s life, wie Ron immer gesagt hatte.
Die Uhr zeigte 00:24. Es fiel ihr an diesem Abend schwer, sich selber gut zuzureden, das spürte sie im Bauch und in der Brust... und im Schoß. Sie betastete ihre Schamlippen... trocken. Trocken wie die Kruste auf einer Wunde ... so war das sonst nie, kurz bevor sie einen Mann traf.
Also: Angst.
Vor Ron hatte sie keine Angst, obwohl sie nicht in seiner Nähe sein wollte, wenn er von dem Neuen erfuhr. Aber woher sollte er von ihm erfahren? Sie war vorsichtiger denn je gewesen und hatte ihn mit keinem Wort erwähnt, nicht einmal Johanna gegenüber. Nein, im Grunde sehnte sie sich jetzt nach Ron. Wünschte, er läge hinter ihr, dicht bei ihr, legte seinen starken beschützenden Arm um sie.
Sie und Ron hatten vor drei Jahren geheiratet, und es waren keine schlechten Jahre gewesen. Aber er war jetzt nicht zu Hause ... erst in achtzehn Monaten würde er wieder bei ihr sein, und das war eine entsetzlich lange Wartezeit. Er würde erst in drei Wochen wieder Urlaub haben, und dann wollte er absolut nach Hamburg fahren, um sich dort mit diesem verdammten Heinz zu treffen. Statt zu ihr zu kommen ... dieser Dreckskerl. Welches Recht hatte er eigentlich, ihr Vorwürfe zu machen, wenn sie sich ab und zu einmal einen anderen schnappte?
Doch, sie hatte schon Angst davor, was Ron machen würde, wenn er davon erfuhr, aber das war eine andere Angst als die, die ihr jetzt zu schaffen machte. Er würde sie vielleicht verprügeln oder sie vorübergehend aus dem Haus werfen, aber das war etwas anderes. Die andere Angst war wie ...
Das Problem war, dass sie nicht wusste, wie diese andere
Angst war, sie musste etwas Neues sein ... und dabei hatte sie geglaubt, es gäbe nichts Neues mehr, sie habe schon allen Ärger mitgemacht, den es überhaupt geben konnte, die Angst war ... scheußlich?
War Angst überhaupt das falsche Wort?, fragte sie sich dann. Zu schwach? Vielleicht brauchte sie ein größeres?
Entsetzen?
Sie fuhr zusammen. Zog die Decke dichter um sich herum.
Ja, so war das. Und dieser neue Mann war schuld daran.
Sie schaltete die Lampe ein. Lehnte sich an die Wand und nahm sich eine Zigarette. Was, zum Teufel, war hier eigentlich los? Sie machte einige tiefe Lungenzüge und versuchte, Ordnung in ihre Gedanken zu bringen.
Sie hatten sich an diesem Abend zum dritten Mal getroffen, und noch immer waren sie nicht im Bett gelandet ... allein diese Tatsache sagte ja schon genug. Offenbar stimmte hier irgendetwas nicht.
Beim ersten Mal hatte sie ihre Tage gehabt. Und wenn sie zurückdachte, dann erkannte sie, dass sie fast schon erleichtert gewesen war.
Beim
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