Das grobmaschige Netz - Roman
den Block in seine Jackentasche.
»Montag?«
»Montag«, sagte Van Veeteren.
»Und was hast du selber vor?«, fragte Münster, als er schon in der Türöffnung stand.
Van Veeteren zuckte mit den Schultern.
»Keine Ahnung«, sagte er. »Ich fange mit Beate Lingen an.«
Münster schloss hinter sich die Tür.
Wer, zum Teufel, ist Beate Lingen? Egal, und nun einige Tage kein Badminton ... wenn er den ganzen Freitag arbeitete, sprang vielleicht ein freies Wochenende heraus.
Als er sein Zimmer betrat, klingelte das Telefon.
»Noch was«, sagte Van Veeteren, »wenn ihr schon dabei seid. Der erste Juni ist auch ein gutes Datum... 1986, meine ich. Samstagnachmittag, irgendwo bei den Maaren ... aber das ist nur so eine Idee, und ihr müsst verdammt vorsichtig sein. Hast du verstanden?«
»Nein«, sagte Münster.
»Gut so«, erwiderte Van Veeteren und legte auf.
35
Am Freitag blieb er zu Hause.
Er erwachte gegen neun und steckte den Telefonstecker in die Dose.
Suchte nach Reisebüros im Telefonbuch und hatte seinen Flug noch vor dem Aufstehen gebucht. Donnerstag, 5. Dezember, 07:30, Australian Airways, Rückreise offen.
Danach setzte er sich an den Frühstückstisch.
Und da saß er dann. Hörte dem Regen zu. Kaute ein ziemlich dickes Vollkornbrot mit Käse und Gurke. Vor ihm lag die aufgeschlagene Morgenzeitung ... und plötzlich überkam ihn ein Gefühl.
Ein Gefühl des Wohlbefindens. Er versuchte, es zu verdrängen, aber es war einwandfrei vorhanden ... warm und starrsinnig und absolut unzweideutig. Ein Gefühl der Dankbarkeit für den unergründlichen Reichtum des Lebens.
Was auch passierte, in ... sieben Tagen würde er auf einem Hotelbalkon in Sydney frühstücken. Würde zerstreut im Führer über das Great Barrier Reef blättern, sich eine Zigarette anstecken und sein Gesicht in die Sonne halten.
Und bis dahin würde er entweder einen Mörder gefangen oder gekündigt haben.
Es war ein Spiel, in dem es nur Gewinner gab.
Um elf hatte er die Zeitung gelesen. Er ließ sich ein Schaumbad einlaufen, drehte Bachs Cellosuiten laut, stellte eine Kerze auf den Toilettendeckel und stieg in die Wanne.
Zwanzig Minuten später hatte er nicht eine Flosse bewegt, aber ihm war ein Gedanke gekommen.
Aus der Wärme des Wassers, aus der Kerzenflamme, aus den Celloklängen war ein Gedanke geboren worden.
Es war ein ganz entsetzlicher Gedanke. Eine Möglichkeit, die er lieber nicht in Betracht ziehen wollte. Ertränken. Ausblasen, aussperren. Es war das Bild eines Mörders.
Nein, er hatte ihn nicht, aber es gab einen Weg.
Einen begehbaren Weg, dem er bis an sein Ende folgen musste. So weit wie möglich musste er gehen, um dann zu sehen, was sich am Ziel versteckte.
Nachmittags legte er sich aufs Sofa und hörte noch mehr Bach. Schlief ein und erwachte im Dunkeln.
Stand auf, schaltete die Anlage aus und das Telefon ein.
Zwei Anrufe:
Der erste ging an Beate Lingen. Er lud sich bei ihr für Samstag nachmittag zum Tee ein. Sie hatte eine Stunde frei, das reichte doch sicher?
Das reiche, sagte er. Sie war nur ein Anhaltspunkt.
Der zweite Anruf war für Andreas Berger bestimmt. Auch hier hatte er Glück und Berger sofort an der Strippe. Leila war mit den Kindern unterwegs.
»Ich habe eine sehr persönliche Frage. Ich glaube, sie kann der Schlüssel zu dieser ganzen Tragödie sein. Sie brauchen nicht zu antworten, wenn Sie nicht wollen.«
»Ich verstehe.«
Van Veeteren legte eine Pause ein. Suchte erst nach Worten.
»War Eva eine ... gute Geliebte?«
Berger schwieg. Aber die Antwort lag schon in seinem Schweigen.
»Werden Sie ... werden Sie meine Antwort auf irgendeine Weise verwenden? Ich meine ...«
»Nein«, sagte Van Veeteren. »Ich gebe Ihnen mein Wort.«
Berger räusperte sich.
»Sie war«, begann er zaghaft. »Eva hat geliebt wie keine andere. Ich habe ja nicht viele Frauen gehabt, aber ich glaube doch, das behaupten zu können. Sie war ... ich weiß nicht, die Wörter sind so arm ... Engel und Hure ... Frau und Mutter ... und Freundin. Sie hat alles ... ja, alles befriedigt.«
»Danke, das erklärt einiges. Ich werde das für mich behalten.«
Der Samstag brachte einen bleichen Himmel und dahinjagende Wolken. Die Sonne wirkte kalt und weit weg, der Wind kam vom Meer. Am Vormittag ging er an den Kanälen spazieren, und zu seiner Überraschung stellte er fest, dass die Luft klar war und nach Winter roch.
Gegen zwei Uhr fuhr er mit der Straßenbahn nach Leimaar. Beate
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