Das größere Wunder: Roman
Schwächen.
Tic war zurück in Oslo, sie schickte ihm Grüße und fragte, wann er vorbeikäme. In Anouks Mail ging es nur um Surfen, sie wollte alles über Jaws wissen. José hatte eine Lebensmittelvergiftung überstanden und schilderte sämtliche Details. Shimon hatte zwei relativ besorgt klingende Nachrichten geschrieben, nach deren Lektüre Jonas bereute, ihn eingeweiht zu haben.
Für die halbe Stunde, die er am Computer verbracht hatte, bezahlte Jonas doppelt so viel wie beim letzten Mal.
»Das ist Kapitalismus«, sagte der Jüngling, dem er die Geldscheine auf den Tisch blätterte. »Und wenn das so weitergeht, verlange ich morgen noch mal das Doppelte, ob es dir passt oder nicht.«
»Und wenn du das tust, gebe ich dir deine hübsche Ledergeldtasche zu fressen«, sagte Jonas. »Ob es dir passt oder nicht.«
Um sich auf die Teambesprechung vorzubereiten, die ihm von Tag zu Tag lästiger wurde, kehrte er beim tätowierten Kellner in der Buddha Bar ein. Nach dem ersten Schluck Bier schob er die Flasche von sich. Er trank sowieso wenig Alkohol, doch in dieser Höhe wirkte er auf ihn wie ein Schlafmittel. Er bestellte sich stattdessen Tee, darin sprudelte wenigstens keine Kohlensäure, die ihm den Hals verätzen konnte.
Beim Zahlen fiel ihm ein Mann auf, der einen breiten Federhut trug und auf einem Barhocker lümmelte. Ihn hatte er mit Sicherheit schon mal gesehen, an diesen Kopfschmuck erinnerte er sich. Hoffentlich erinnerte sich der Mann nicht an ihn.
Am liebsten wollte Jonas der Sonnenfinsternis im Western Cwm beiwohnen, im Tal des Schweigens, das wäre der Höhepunkt all dessen, was er je gesehen, die schönste Sonnenfinsternis, die er je erlebt hatte. Doch allein war man am Everest nie. Und der Zeitpunkt für seinen Gipfelversuch stand noch nicht fest.
An einem Verkaufsstand, an dem eine alte Sherpafrau Bilder und Ketten anbot, kaufte Jonas ein paar Mitbringsel für Freunde. Als er sich umdrehte, stieß er tatsächlich fast mit dem Mann zusammen, der ihn vor dem Khumbu angespuckt hatte. Hristo murmelte etwas auf Bulgarisch. Jonas gab sich nicht die Mühe, es zu verstehen, und setzte hustend seinen Weg fort.
Diesmal hörte der Hustenkrampf nicht auf. Einige Bergsteiger lachten, als er an ihnen vorbeikam. Atemlos winkte er ihnen, sie winkten zurück und riefen ihm aufmunternde Sprüche zu.
Er hustete bis zu seinem Lager, er hustete bis zu seinem Zelt, er setzte sich auf seinen Klappstuhl und hustete. Es fühlte sich an, als würde sein Brustkorb bersten.
Er spürte, wie eine seiner Rippen, im Krampf gebogen, dem Druck nicht mehr standhielt und brach, er meinte sogar, das Knacken des Knochens zu hören.
Erst wollte er es nicht glauben. Er saß da und schnappte in schnellen, aufgeregten Zügen nach Luft. Der Schmerz und der körperliche Schock waren so groß, dass sogar der Hustenreiz wich. Ihm wurde schwindlig. Er merkte, wie sein gesamter Kreislauf absackte.
Einer der Küchenjungen schleppte gerade einige Vorräte vorbei. Jonas hielt ihn auf und bat ihn, Marc und Helen zu holen. Keine zwei Minuten später trat Marc aus dem Messezelt, zwei dampfende Tassen in der Hand, und stieg mit großen Schritten den steinigen Weg hinauf.
»Was ist los, schlechte Nachrichten? Hier, trink das.«
Kurzatmig und mit Unterbrechungen erzählte Jonas, was geschehen war.
»Eine Rippe gebrochen, beim Husten?« rief Marc.
»Sag mir bitte, dass das nicht möglich ist.«
»Das passiert leider. Ich habe mir mal einen Knorpel in der Brust gerissen, auch nicht angenehm. Da kommt deine Wunderärztin, die wird dir gleich mehr sagen.«
Nach einer kurzen, schmerzhaften Untersuchung schüttelte Helen unwirsch den Kopf.
»Und?« fragte Marc. »Hat er recht?«
»Keine Ahnung.«
»Keine Ahnung?«
»Könnte sein.«
»Und was heißt das?«
»Viel Freude wird er damit nicht haben.«
»Helen«, sagte Jonas, »ich werde da hochgehen, und nichts wird mich davon abhalten.«
»Machst du dir eine Vorstellung von den Schmerzen, die dir da oben bevorstehen?«
»Unten zu bleiben würde noch mehr weh tun.«
»Na gut. Sind ja deine Rippen. Spuck mal aus. Sehr gut, kein Blut, wenigstens hast du dir nicht die Lunge angestochen.«
»Wohin gehst du?« rief Jonas hinterher.
»Ich verständige Hadan. Und schaue nach, ob ich so etwas wie ein Korsett für dich finde.«
»Das Korsett kannst du dir selbst umbinden, ich will ein paar Schmerztabletten, aber schnell!«
»Ich bin ja gegen Schmerzmittel«, sagte Marc.
»Ich nicht«, sagte
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