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Das größere Wunder: Roman

Das größere Wunder: Roman

Titel: Das größere Wunder: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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beschloss, um sieben an der angegebenen Adresse zu sein. Wenn dem Mann diese Zeit nicht passen sollte, hätte er sich eben präziser ausdrücken müssen.
    Er klingelte. Es dauerte eine Weile, bis sich hinter der Tür etwas regte. Nicht Tanaka öffnete ihm, sondern ein tätowierter Bodybuilder mit Anzug und Krawatte. Der Riese bat Jonas höflich, ihm zu folgen, und geleitete ihn durch einen schmutzigen Hinterhof zu einer Limousine, deren Fahrer nicht viel gutmütiger wirkte als der Mann an der Tür.
    Nach einer Fahrt von zwanzig Minuten, während der sich Jonas halb belustigt, halb verärgert fragte, ob er in einer japanischen Version von James Bond gelandet war, hielten sie vor einem unscheinbaren Haus in Shibuya, wo ihn Tanaka, wieder ganz in Weiß gekleidet, auf der Straße erwartete und sich für die Umstände der Anfahrt entschuldigte.
    »Sie fürchten die zwei von gestern?«
    Tanaka lachte nur leise, schüttelte den Kopf und bat ihn hinein.
    »Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt«, sagte Jonas und nannte seinen Namen.
    »Ich weiß bereits, wer Sie sind«, sagte Tanaka und führte ihn in ein Arbeitszimmer, das Jonas ein wenig an das von Picco erinnerte, jedoch mit einer alten Kalligrafie anstelle des Reiterbilds an der Wand. »Ich habe mir erlaubt, Erkundigungen über Sie einzuholen.«
    »Sie wissen, wer ich bin? Das sollte mich wundern. Hier kennt mich niemand.«
    »Da irren Sie. Ich weiß, wo Sie in Tokio wohnen, ich kenne Ihre Adresse in Oslo, ich weiß von Tahita Bredesen, deren Rufname Tic Ihnen geläufiger sein dürfte, und ich kann Ihnen sogar einiges über Ihren Adoptivgroßvater und über Ihren Freund erzählen, dem ich indirekt wohl mein Leben verdanke. Innerhalb von zwölf Stunden kriegt man so einiges heraus. Bitte entschuldigen Sie dieses Eindringen in Ihre Privatsphäre, doch ich musste einen Weg finden, mich bei Ihnen zu revanchieren. Nun bin ich immerhin darüber im Bilde, dass Sie keiner materiellen Hilfe bedürfen.«
    Jonas verfolgte sinnend, wie Tanaka eine Karaffe Whisky auf den Tisch stellte und zwei Gläser füllte. Er wusste nicht, was er sagen sollte.
    »Bedeutet Ihr Schweigen, dass Sie überlegen, ob ich unrecht gehandelt habe?«
    »Im Augenblick wundert mich gar nichts«, sagte Jonas, »aber vielleicht kommt das noch. Jetzt bin ich ganz Ohr. Wie haben Sie das angestellt?«
    »Das gehört zu meinem Beruf. Und von jetzt an stehen Ihnen meine Dienste zur freien Verfügung, solange ich lebe.«
    »Was darf ich mir darunter vorstellen, Herr Tanaka?«
    »Ich habe gestern einen blamablen Fehler begangen, für den ich mich schäme und der in meiner Laufbahn beispiellos ist. Ich hatte Glück, denn Sie kamen und lösten mein Problem. Möglicherweise haben Sie sich damit Feinde gemacht, ich werde das in Erfahrung bringen, doch darum müssen Sie sich nicht kümmern. Ich erledige das, so wie ich alles andere von nun an gern für Sie erledigen werde.«
    »Ich kapier’s nicht«, sagte Jonas.
    »Ab sofort vertrete ich Ihre Interessen und löse bei Bedarf Ihre Probleme. Egal, wo auf der Welt Sie sich aufhalten. Sie reisen doch gern, oder? Hier ist eine Liste von Telefonnummern, die Sie jederzeit anrufen können. Wenn Sie etwas brauchen, melden Sie sich. Und bedenken Sie immer: Nicht ich erweise Ihnen einen Gefallen, sondern Sie mir.«
    Tanaka erhob sich und zupfte an den Bügelfalten seiner Hose, ehe er sich verbeugte.
    »Zu meinem Bedauern habe ich noch einen Geschäftstermin und muss Sie daher wieder verlassen. Ich danke Ihnen für alles. Akaki wird Sie nun fahren, wohin Sie wollen.«
     
    Wochen später flog Jonas nach Oslo, wo er auf dem Tisch in seinem Privatmuseum einige Bierdeckel, zwei Reklamezettel und einen Radiowecker abstellte, den er in seinem Tokioter Hotelzimmer gestohlen hatte. Er rief Tic an und hörte schon an ihrer Begrüßung, wie schlecht es ihr ging.
    »Was machst du?« fragte sie eine Stunde später in dem Café unter ihrer Wohnung. »Wohin verschwindest du?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Hast du eine andere?«
    Unwillkürlich lachte er auf. »Immer diese Frage! Nein, habe ich nicht.«
    »Was tust du, wenn du weg bist?«
    »Das ist schwer zu erklären.«
    »Erklär es mir trotzdem. Sag mir, es hat mit Geschäften zu tun, damit kann ich leben. Aber lass mich nicht im Dunkeln tappen, und vor allem lass mich nicht einfach so sitzen!«
    »Es hat nichts mit Geschäften zu tun.«
    »Du könntest wenigstens lügen.«
    Er senkte den Blick.
    Sie schwiegen einige Zeit.
    »Noch mal«,

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